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05. Juli 2005 Druckversion | Versenden | Leserbrief
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BERLIN

Ein Club als Diplomarbeit

Von Kai Kolwitz

Architekturstudenten bringen noch mehr Leben in die halb legale Berliner Clubszene und bauen eine alte Zigarettenfabrik um. Junge Kunst, Partys und DJ-Stars - auch so kann eine Examensarbeit aussehen. Zur Eröffnung sind die Diplomanden Mark und Tim chronisch unausgeschlafen.

Es sind Zahlen. Kleine gelbe Leuchtzahlen. Anna, Mark und Tim verkleben sie überall im Gebäude - auf geflickte Türblätter, neben Löcher im Boden und auch auf das riesige Schlüsselbrett, an dem sich die unzähligen Schlüssel befinden, die man braucht, um in der alten Fabrik voran zu kommen. "Das ist für unseren Interventionskatalog", erklärt Tim. "Mit den Zahlen kartografieren wir alle Stellen, an denen wir Veränderungen vorgenommen haben."

Die alte Fabrik: Früher drei Millionen Tonnen Tabak, heute Partys
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Anne Schläger
Die alte Fabrik: Früher drei Millionen Tonnen Tabak, heute Partys
Für die Sommermonate gehört der riesige Bau in Berlin-Pankow ganz den dreien - die Fabrik dient Tim Berge und Mark Niehüser als Thema für die Diplomarbeit. Ab Anfang Juli nehmen hier rund 120 Künstler den Bau in Beschlag und stellen auf 20.000 Quadratmetern ihre Werke aus. Geplant sind Tanz- und Elektro-Musik-Festival, einige Partys sind im Gebäude und im Innenhof schon gelaufen. Demnächst wird eine Theatergruppe spielen, Peaches, Maximilian Hecker und Erlend Oye haben auch schon aufgelegt.

Für die Fabrik ein Erwachen aus dem Dornröschenschlaf: Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in dem mächtigen Bau mit dem hohen Ziegeldach Zigaretten hergestellt. Zuerst unter der Regie der jüdischen Familie Garbaty, im Nationalsozialismus wurde die Fabrik "arisiert", wie die Enteignung der jüdischen Bevölkerung im Nazi-Jargon hieß. Nach dem Krieg produzierte hier die "VEB Garbaty" die berühmten "Club"-Zigaretten, bevor der Reynolds-Konzern die Anlage nach der Wende übernahm und abwickelte. "In Spitzenzeiten haben hier 1200 Menschen gearbeitet, drei Millionen Tonnen Tabak konnten die hier drin lagern", erklärt Tim Berge. "Die Garbatys waren die ersten, die in Pankow die Straßen haben pflastern lassen - gegen den Willen des Bürgermeisters."

"Hier gibt es eigentlich gar keinen Raum"

Worum es in der Diplomarbeit geht, erklärt Mark, der genau wie Tim an der Universität der Künste Architektur studiert: "Die Überschrift ist 'Reurbanisierung'. Wir sind erst einmal hingegangen und haben für die Investoren eine Kalkulation aufgestellt, um ihnen zu zeigen, was sie für den Leerstand bezahlen. Da kommen unglaubliche Summen zusammen. Und dann haben wir einen Kostenvergleich aufgestellt - für den Fall, dass man eine Übergangsnutzung arrangiert, die einen geringen Mietzins einspielt."

Innenansicht: Unglaublich große Flächen
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Anne Schläger
Innenansicht: Unglaublich große Flächen
Die Übergangsnutzer, das sind vor allem die Künstler, die hier für drei Wochen einziehen werden. Erste Spuren kann man schon sehen: Im ersten Stock wuselt Dominik Wood emsig um einen zehn Kubikmeter großen Bretterverschlag herum, der entfernt an ein Flugzeug erinnert. "I'm not quite sure", antwortet der Australier auf die Frage, was das Werk eigentlich werden soll. "It's too early."

Ein Stockwerk höher entsteht eine Art afrikanisches Dorf mit Hütte, Baum und jeder Menge Kleinkram. Hannes hat sich sogar mit der Fräse direkt in den Wänden verewigt - Notwehr sozusagen, denn bei 3000 Quadratmetern offener Fläche pro Stockwerk und großen Glasflächen gebricht es den Hallen bei aller Imposanz etwas an räumlicher Unterteilung.

"Man kann im Gebäude um den Innenhof herumlaufen wie in einem Donut", meint Mark, und Tim ergänzt: "Hier gibt es ja eigentlich gar keinen Raum. Es gibt im Prinzip nur Fläche. Durch die Werke, die hier entstehen, muss deshalb ordentlich Power und Masse entstehen, damit Wirkung erzielt wird." Mit einer kleinen Statuette einen Raum zu füllen, in dem vorher Bungalow-große Industriemaschinen gearbeitet haben, das gestaltet sich schwierig.

Partys müssen Kosten einspielen

Bis zur Eröffnung werden Mark und Tim daher noch Styroporblocks besorgen, auch um überhaupt Wände zu haben, an denen sich Bilder und Fotografien aufhängen lassen. Auch solche Überlegungen sind ein Teil der Diplomarbeit - genau wie Schutt abräumen, die amtlichen Genehmigungsprozeduren und die ambulanten Strom- und Wasserinstallationen, die das Gebäude erst nutzbar machen.

Innenhof-Party: Leben in den alten Gemäuern
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Anne Schläger
Innenhof-Party: Leben in den alten Gemäuern
Einen Teil der Kosten für die Aufrüstung der Fabrik tragen die Besitzer, ein Teil ist Eigenleistung. Den größten Teil müssen die Partys einspielen, nachdem sich Sponsoren bisher kaum für ein Engagement erwärmen ließen. An die Künstler gekommen sind die Organisatoren per Aufruf und durch Tims Freundin Anna Schläger, die in Offenbach Grafik und Fotografie studiert.

Am Montag hatten Mark und Tim Abgabe, am Samstag wurde das Kunstprojekt mit einer großen Party im Innenhof eröffnet. Dass die beiden etwas unausgeschlafen wirken, ist da kein großes Wunder. Vor allem, wenn man weiß, dass die Fabrikherren nebenbei mit einigen anderen seit zwei Jahren außerdem noch das "Rio" betreiben - einen Club in Berlin-Mitte, der ebenfalls in einem beinahe abbruchreifen Haus entstand, das zuletzt als Wohnheim für illegale Arbeitskräfte gedient hatte.

Wie es nach dem Diplom weitergeht, ist offen

Auf die damals gemachten Erfahrungen können Berge und Niehüser heute natürlich zurückgreifen, wie auch auf ein Netzwerk von Freunden und Helfern und viel Routine im Umgang mit hartleibigen Verwaltungsbeamten und Bezirkspolitikern. Und der Eigentümer der "Rio"-Behausung ist gleichzeitig einer der Eigner der Fabrik. "Man muss das dann einfach machen", meint Mark. "Und der Unterschied zum 'Rio' ist, dass es für die Fabrik wirklich Unterstützung gab. Die ersten Schritte waren, dass wir beim Bürgermeister und bei der Bezirksstadträtin waren - durch den Support wurde vieles möglich."

Die Eigentümer erhoffen sich von der Zwischennutzung vor allem mehr Aufmerksamkeit für den Bau und in der Folge Rendite durch "richtige" Mieter. Dass so etwas möglich ist, das wollen Berge und Niehüser auch in ihrer Diplomarbeit zeigen. Allerdings erzählt Tim auffällig oft davon, was man im Sommer 2006 noch alles in den Fabriketagen entstehen lassen könnte, wenn sie dann noch zur Verfügung stehen.

Zur Ausstellungseröffnung kommt zur großen Freude der Macher sogar der 75-jährige Enkel des Firmengründers, der 1938 in die USA ausgewandert war. Bleibt die Frage: Was passiert, wenn das Diplom an der Wand hängt? "Ich glaube, wir machen einfach so weiter", meint Mark. Tim beschäftigt sich derweil mit konkreten Dingen. Für das Festival im August soll der Innenhof überdacht werden: "Da sitzen wir gerade an der Dachkonstruktion. Als Architekten sollten wir so was ja eigentlich können."

Die Ausstellung läuft vom 2. bis 17. Juli, täglich außer montags, 15-20 Uhr, Hadlichstraße 44, Berlin-Pankow. Weitere Infos unter http://www.khbp.de/




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