Wahrzeichen mit Narben

Pünktlich zum Tag der Deutschen Einheit lässt eins der prägnantesten Symbole deutscher Geschichte die Hüllen fallen. Fast zwei Jahre lang war das Brandenburger Tor unter Planen versteckt. Währenddessen wurden im Verborgenen die Verletzungen kuriert, die wechselhafte Zeiten dem Tor beigebracht hatten.

Unter der Plane ist das Licht fahl. Nur ein leises Tackern gibt der Laser von sich. Wo der Strahl für den Bruchteil einer Sekunde auftrifft, wird aus pechschwarz wieder steingrau. Millimeter für Millimeter arbeitet sich das Werkzeug auf der Säulenoberfläche voran. Bis 4500 Quadratmeter Oberfläche gereinigt sind, wird es noch eine Weile dauern. Besonders hier an der Westseite, die dem Wetter am meisten ausgesetzt ist und die deshalb auch auf kaum einer Postkarte auftaucht.

Die momentan laufende Runderneuerung des Brandenburger Tor ist eine High-End-Restaurierung. Doch der Aufwand macht Sinn: An kaum einem anderem Bauwerk lässt sich deutsche Geschichte so gut ablesen wie an dem der Akropolis nachempfundenen Bau im Berliner Zentrum. Kurz nach der Fertigstellung ritt bereits Napoleon mit seinen Garden zwischen den Säulen hindurch. Die blind-patriotischen Soldaten des Ersten Weltkriegs marschierten hier genauso wie später SA und SS. Nach dem Mauerbau wurde das Tor – nun unerreichbar mitten im Todesstreifen - zum Symbol der deutschen Teilung und schließlich zu dem der Wiedervereinigung.

Regelrecht vernarbt ist der Bau deshalb heute. Von Kugeln und Granaten genauso wie von dem, was euphorischer Jubel und hektische Bau- und Renovierungsmaßnahmen hinterlassen haben. Vieles von dem, was früher einmal ersetzt wurde, fällt farblich aus dem Rahmen oder ist schlampig eingepasst. Den Rest haben das Berliner Wetter, hektische Bauarbeiten nach der Wende und der Verkehr besorgt. Mehrere tausend Schäden hat eine Kartierung zu Beginn der Arbeiten ergeben, fein säuberlich eingeteilt in Kategorien wie „Mörtelantragungen“, „Fehlstellen“, „Rissbildungen“, „Absandungen“, „Abschuppungen“. Und diese gilt es nun der Reihe nach abzuarbeiten. Nicht besonders hilfreich ist dabei die Tatsache, dass zur Zeit der Fertigstellung der Eindruck von Marmor erweckt werden sollte, aber das Geld in der damals schon notleidenden Stadt Berlin nur für Sandstein reichte. Genauer gesagt, für drei unterschiedliche Arten von Sandstein, deren völlig unterschiedliches Alterungsverhalten nun für zusätzliche Schwierigkeiten sorgt. Besonders fatal ist dabei der eingebaute Selbstzerstörungsmechanismus einer der drei Steinsorten: Durch Eiseneinlagerungen im Stein rostet er regelrecht, was einer der Gründe für die schwarze Oberfläche ist, die nun mittels Laser entfernt werden muss.

„Maximal dreißig bis vierzig Prozent sind noch original“, schätzt Stefan Grell, der als oberster Restaurator für die Stiftung Denkmalschutz und das ausführende Unternehmen Caro die derzeit laufende Renovierung des symbolträchtigen Bauwerks koordiniert. Er selbst und seine rund 60 Leute sind allerdings nur für den kleinsten Teil der Nachbauten verantwortlich. Im Lauf der Jahrhunderte musste der Bau schon mehrfach repariert und restauriert werden: Die Quadriga stammt etwa aus den Fünfziger Jahren, das nördliche Torhaus ist DDR-Produktion – und nach fünfzig Jahren der baufälligste Teil am gesamten Tor.

Auch eine der Säulen hat im Krieg schwer gelitten: Nach einem Artillerietreffer fast komplett durchtrennt, wurde sie in den Fünfzigern unter Zuhilfenahme von Bauschutt und Mörtel wieder auf original getrimmt. Optisch funktioniert das leidlich, statisch gesehen allerdings eher weniger. Allein schon aus Sicherheitsgründen wird die beschädigte Säulentrommel deshalb im Moment aus dem Vollen nachgemeißelt, um im Lauf der Restaurierung den Pfusch am Bau zu ersetzen. Den Stein dafür haben Grell und seine Steinmetze extra im Elbsandsteingebirge ausgesucht, denn auch die beste Farbe kann nicht verhindern, dass an sich unterschiedliche Steine am Tor auch unterschiedlich aussehen. Was den Restauratoren aber regelrecht die Fassung raubte, war die Entdeckung, dass die riesige Bodenplatte aus Kalkstein, auf der das Tor erbaut ist, nach der Wiedervereinigung kurzerhand aufgebrochen wurde, um ausgerechnet hier Versorgungs- und Telekommunikationsleitungen von West nach Ost zu ziehen. Von den Auswirkungen auf die Statik zeugen dicke Risse im Dach der so genannten Soldatenkammern unter der Quadriga. Auch hier muss dringend repariert werden.

Ein Brandenburger Tor wie es Ende des 18. Jahrhunderts im Berliner Zentrum stand, können die Restauratoren nicht wieder erreichen. Sie wollen es aber auch gar nicht: Insgesamt sieben verschiedene Anstriche hat der Bau im Lauf der Jahrhunderte getragen. Dem Weiß aus der Eröffnungszeit folgten je nach Zeitgeschmack diverse gelbliche, bräunliche und Erdtöne. Die Berliner durften über die künftige Farbe abstimmen – und bewiesen, dass aus der Erinnerung der heute Lebenden nur der blanke graue Stein in Frage kommt. Den trägt das Tor seit den Fünfziger Jahren, seine Oberfläche ist nebenbei auch langlebiger als jeder Anstrich.

Die Restaurierung bietet denen, die daran arbeiten, einmalige Chancen. Etwa die, die Reliefs zu bewundern, die in einer Höhe am Tor prangen, in der sie von der Straße aus überhaupt nicht wahrgenommen werden können: Unter dem Dach und an den Innenseiten der Säulen finden sich nach klassischem Vorbild detailreiche, pseudo-griechische Schlachtenszenen, Sagenmotive, Streitwagen und Ornamente. Ist hier etwas zu ersetzen, lässt sich mit Maschinen gar nichts mehr ausrichten. Hier hilft nur nach Augenmaß Ersatzstücke nachzuarbeiten. Anhalten, korrigieren, wieder anhalten, wieder nacharbeiten – kein Spaß bei den schweren Steinbrocken, die die unangenehme Eigenschaft haben, dass sie vor allem in den unzugänglichsten Winkeln fehlen. Was fertig ist, wird mit Hämmerchen mit der originalen Struktur versehen und einem Spezialmörtel ins Tor eingefügt, um dann als letztes mit einer Schlämme mit beigefügten Farbpigmenten gestrichen zu werden, um die farblichen Kontraste zum alten Material zu minimieren.

Für die Steinmetze ist die Arbeit hier eine der größten denkbaren Herausforderungen. So war es eine der Schwierigkeiten bei der Planung, überhaupt genug Menschen zu finden, die ihr Handwerk gut genug beherrschen um mitarbeiten zu können. Daher werden am Tor auch Lehrlinge ausgebildet, die hier Qualifikationen erwerben können, die sich in einer Grabstein-Manufaktur sicher nicht erlernen ließen.

Für zusätzliche Belastungen sorgen dabei neben der Tatsache, dass der Autoverkehr auch während der Restaurierung unter dem Tor hindurch läuft, vor allem die Temperaturschwankungen unter der Plane: Von Frühling ist unter dem schweren Kunststoff in Anwesenheit von tausenden Tonnen Stein im April noch nichts zu merken. Dafür wissen die Arbeiter schon vom letzten Sommer, wie heiß es unter dem Plastik wird, wenn sich Luft und Tor erst einmal aufgeheizt haben.

Trotzdem: Ohne Wetterschutz geht es nicht. Außerdem hat die Plane noch eine weit wichtigere Funktion: Sie sichert nämlich die Finanzierung der Arbeiten. Knapp 180 000 Euro überweist die Deutsche Telekom jeden Monat, so lange der bunte Kunststoff hängt. Dafür darf sie die Motive bestimmen. 15 waren es bisher: Zur Love Parade präsentierte man die Säulen des Tors ineinander verschlungen, zu Weihnachten ersetzte man sie durch brennende Kerzen oder ließ sie zu anderer Gelegenheit einfach ganz verschwinden. Die Aktion sorgt dafür, dass das finanziell gebeutelte Land Berlin zu den Arbeiten keinen Pfennig dazuschießen muss – und bedingt in gewisser Weise auch die lange Dauer der Restauration: Natürlich könne man auch im Dreischicht-Betrieb arbeiten um schneller fertig zu werden, meint Restaurator Grell. Nur dass das Budget dann wegen der kürzeren Dauer nicht ausreichen würde um die Arbeiten ordentlich auszuführen.

Zum Tag der Deutschen Einheit soll das Tor wieder der Öffentlichkeit präsentiert werden, nachdem die Restauratoren eine sechsmonatige Verlängerung der ursprünglich auf 16 Monate angesetzten Arbeiten herausgehandeln konnten. Der Termin ist definitiv, nachdem Berlins Stadtentwicklungssenator Strieder ein Machtwort gesprochen hat. Etwa 60 bis 80 Jahre, so hofft Grell, wird das Brandenburger Tor dann stehen können, ohne dass wieder derart aufwändige Arbeiten fällig werden – immer vorausgesetzt, die Weltgeschichte spielt mit.

Trotzdem: So richtig glücklich ist er mit dem Abschlusstermin nicht. „Wäre es denn so schlimm gewesen“, sagt er und streicht dabei mit der Hand fast zärtlich über eins der wiederhergestellten Reliefs, „wenn es noch zwei Monate länger dauern würde? Dann hätte man noch mehr machen können...“


 

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