Unerbetene Kunst am Bau

Graffitis an Hauswänden sorgen bei den Besitzern für immer mehr Ärger. Viele Städte versuchen, das Problem in den Griff zu bekommen - mit harter Linie oder zusammen mit den Sprayern.

Für Haus und Grund ist der Fall klar: "Die Sprayer werden immer raffinierter", beschreibt Stefan Diepenbrock, der Leiter der Kommunikation der Eigentümerschutz-Gemeinschaft, "und die Zahl der Vergehen nimmt zu." Auf rund 250 Millionen Euro schätzt der Verband den Schaden, der durch unerwünschte Graffitis pro Jahr in Deutschland entsteht und verbindet damit die Forderung: "Illegales Sprayen ist nach unserer Auffassung ein klarer Straftatbestand. So wie die Dinge heute geregelt sind, wirken die Schmierereien wie ein Kavaliersdelikt."

Denn die Gerichte sehen die Sache anders als Haus und Grund: Derzeit greift der Sachbeschädigungsparagraph nur dann, wenn dem Sprayer nachzuweisen ist, dass er mit seinen Sprühdosen die Substanz eines Gebäudes verletzt hat. Und es sieht nicht danach aus, als wenn sich an dieser Sachlage bald etwas ändern würde. Eine Initiative des Bundesrats scheiterte erst im vergangenen Jahr.

Bleibt also, sich entweder zu ärgern oder selbst in die Offensive zu gehen. Und genau dies scheint in Deutschland in immer mehr Städten zu geschehen: Ob Münster, Berlin, Köln, Kiel, Halle oder Pforzheim - vielerorts sind in den letzten Jahren Initiativen entstanden, die sich den Kampf gegen illegale Graffitis auf die Fahnen geschrieben haben. Teils sind die Kommunen beteiligt, teils läuft alles in privater Regie. Teils sind die Ansätze dialog-orientiert, teils rein auf die Bekämpfung der Sprayer-Szene ausgerichtet.

Am weitesten sind die Dinge im süddeutschen Pforzheim gediehen - dort sorgt seit rund zehn Jahren ein "Anti-Graffiti-Mobil" für die Beseitigung der Schäden an privaten Wänden. Innerhalb kurzer Zeit, und: für den Geschädigten mit keinerlei Kosten verbunden. "Ich bin damals einfach zu meinem Nachbarn gegangen, der Malermeister ist, und habe ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, die Schmierereien gegen Spendenquittung zu beseitigen", erinnert sich Herta Wahl, die Vorsitzende des Pforzheimer Bürgervereins Nordstadt an die Anfänge. "Er hat sofort ,Ja' gesagt."

Auch die örtliche Malerinnung sah in der Idee eine Chance für Eigenwerbung und neue Kundenkontakte - und so lässt sich heute auf www.pforzheim.de ein Formular herunterladen, auf dem man die Art des Schadens beschreiben und die Beseitigung beauftragen kann. Seine Arbeit finanziert die Initiative, in dem auch die örtliche Polizei und der Bürgerverein für soziale Rechtspflege vertreten sind, aus Spenden und durch Bußgelder, die Richter und Staatsanwälte zu Gunsten des Mobils verhängen. Wahl verweist stolz auf die Polizei, nach deren Angaben die Zahl der Farb-Attacken um die Hälfte zurückgegangen ist.

Auch Karl Hennig, Leiter des Berliner Vereins Nofitti e.V. sieht in dem Pforzheimer Konzept einen guten Weg, um die eigene Wand langfristig sauber zu halten: "Internationale Erfahrungen haben gezeigt, dass die Sprayer nach einer Zeit aufgeben, wenn Graffitis immer sofort beseitigt werden." Auch aus der eigenen Praxis hat Hennig diese Erfahrung: Für die Hansa-Bibliothek in der Hauptstadt zum Beispiel, um die sich Nofitti bemühte, waren vier Überstreich-Aktionen notwendig. Seitdem ist Ruhe. "Sprayern kommt es ja auf Aufmerksamkeit und öffentliche Wirkung an. Und wenn die Hinterlassenschaften schnell beseitigt werden, dann ist das für die eine Fehlinvestition." Weitere Tipps aus dem Nofitti-Fundus: Gerade Wände an herausragenden, weithin sichtbaren Stellen, sollte man unzugänglich machen oder den Untergrund graffiti-unfreundlich gestalten. Das kann zum Beispiel durch eine Begrünung geschehen oder durch einen unebenen Untergrund - Rauhputz ist allerdings zu wenig, wie man an vielen Orten der Hauptstadt sehen kann. Auch Schutzanstriche empfiehlt der Verein - allerdings gehen hier die Meinungen der Experten auseinander, was Wirkungen und mögliche Veränderungen des Innenklimas durch Versiegelung der Poren im Mauerwerk angeht. Für Hausbesitzer hat Hennig noch den Tipp parat, die Beseitigung von Schäden in die Gebäudeversicherung mit aufzunehmen. Im Gegensatz zu direkten Maler-Rechnungen können die Prämien auf die Mieter umgelegt werden.

Neben der Bibliothek hat Nofitti die Patenschaft für diverse weitere ehemals beschmierte Objekte übernommen - etwa für die Weltzeituhr am Alexanderplatz oder die Denkmäler rund um die Siegessäule. Außerdem initiierte man einen Wettbewerb "Graffiti-freie Schule" und organisierte im April den ersten internationalen Kongress zum Thema - unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit.

Versuche, mit einem Teil der geschätzt rund 8000 Hauptstadt-Sprayer zu kooperieren und ihre Energie in legale Bahnen zu lenken, musste Nofitti allerdings wieder einstellen: Bei einem Projekt im Prenzlauer Berg wurde der einzige "Künstler", den man gewinnen konnte, von der Szene so unter Druck gesetzt, dass er das Handtuch warf. Andere legale Graffitis, die Hennig in seiner Nachbarschaft vermittelte, wurden schon kurz nach Fertigstellung systematisch versaut. So beweisen heute vor allem wüste Beschimpfungen im Gästebuch der Homepage www.nofitti.de, dass die Vereinsaktivitäten von der Szene wahrgenommen werden.

"Sprayer, die auf legalen Flächen arbeiten, sind für die Szene ,Bitches', also Prostituierte", beschreibt Jürgen Lindner von der gemeinsamen Einsatzgruppe Graffiti der Berliner Polizei und des Bundesgrenzschutzes das Selbstverständnis. Die operative Gruppe ist in der Hauptstadt nachts auf Streife und kennt Orte und Szene, außerdem gibt auch der normale Streifendienst Informationen über neue Malereien weiter. Den Ratschlägen von Nofitti kann Lindner daher noch einen weiteren hinzufügen: Anzeige erstatten. Denn selbst in der in Sachen Graffiti arg gebeutelten Stadt liegt die Aufklärungsquote bei immerhin 60 Prozent - unter anderem deshalb, weil die Sprayer selbst auch wollen, dass ihre Werke in der Szene zugeordnet werden können. Und die "Tags", die charakteristischen Namenszüge kennt auch die Polizei, erklärt Lindner: "Unsere Sachbearbeiter erinnern sich sofort an die Tags und können Sprayer teilweise schon anhand von Arbeitsweise und Art des Zugangs zu der Fläche identifizieren." Zumindest auf zivilrechtlichem Weg können Geschädigte dann versuchen, Titel zu erwirken, um irgendwann die Kosten für die Beseitigung wieder hereinzuholen - auch wenn der Weg vor die Gerichte auch hier nicht immer von Erfolg gekrönt ist.

Auch in Münster zeigen Polizei und Justiz Härte gegen ertappte Sprayer. Allerdings scheint in der eher beschaulichen Stadt in Westfalen etwas zu funktionieren, was andernorts mangels Erfolg wieder eingestellt werden musste: Man bemüht sich um Kooperation mit der Szene. "Mich wundert selbst, dass die Jungs nicht mehr Mist bauen", kommentiert Achim Schreiber, der das Projekt Ordnungspartnerschaft Graffiti für die Stadt mehrere Jahre lang koordinierte. Dabei ging man nach dem Motto vor: Die Kommune und ihre Institutionen zeigen Wege auf, wie Sprayer ihre kreative Ader sinnvoll und legal einsetzen können. Aber wer es vorzieht, weiter bei Nacht und Nebel fremde Hauswände zu lackieren, muss damit rechnen ernsthaften Ärger zu bekommen. Der Verfolgungsdruck auf die Szene wurde erhöht, gleichzeitig organisierte man aber auch einen Täter-Opfer-Ausgleich, stellte legale Flächen zur Verfügung, organisierte Ausstellungen, vermittelte legale Aufträge und richtete auf dem Dachboden des Jugendamts sogar ein Atelier ein.

"Man muss die Sprayer sortieren", beschreibt Schreiber, "es gibt welche, die nur rumsauen, aber andere sind kreativ - die können richtig malen." Offenbar gelang es in Münster mit diesem Mischkonzept anders als in anderen Städten, zum harten Kern der Szene vorzudringen. Laut Schreiber funktioniert inzwischen sogar eine Art Selbstkontrolle der Sprayer untereinander: "Wir hatten den Fall, dass nachts eine Brücke bemalt wurde. Derjenige stand ein paar Tage später wieder da und hat sein Werk wieder überstrichen." Und zwar ohne dass er von der Polizei ermittelt worden wäre. Ebenfalls im Rahmen der Ordnungspartnerschaft entstand eine umfangreiche Website, die viele Informationen bereit hält - für Geschädigte, Eltern, Lehrer aber auch für die Sprayer selbst.

"Wer legal sprüht, der sprüht auch illegal", zitiert allerdings in Köln Christine Geis den Münsteraner Erfahrungen entgegen aus einer Studie der Universität Potsdam, an der das Phänomen wissenschaftlich erforscht wurde. Sie ist Koordinatorin der Kölner Anti-Spray-Aktion KASA. Ursprünglich gegründet mit dem Ziel, die Stadt zum G8-Gipfel 1998 ins beste Licht zu setzen, wird sie inzwischen von 34 Partnern getragen. Neben der Polizei und kommunalen Stellen sind darunter viele Unternehmen mit größeren Immobilienbeständen. Diese tragen Sorge dafür, ihre Bestände möglichst graffiti-frei zu halten, um den Kontrahenten so den Spaß zu verderben. Außerdem stellt die KASA Informationen zu Vorbeugung und Reinigungsmethoden zur Verfügung.

Der Erfolg? "Im Jahr 2001 mussten unsere Partner noch vier Millionen Mark für die Reinigungen aufwenden, ein Jahr später waren es nur noch 1,5 Millionen Euro." Neuere Zahlen gibt es noch nicht, allerdings scheint der Trend in Köln weiter nach unten zu gehen. Um noch effektiver gegen die Täter vorgehen zu können, prüft die Stadt dazu die Möglichkeit, einen Graffiti-Paragraphen in die Stadtsatzung einzufügen, so dass sich unabhängig von einem Gerichtsverfahren Geldbußen verhängen lassen.

Dass sich Farb-Attacken jedoch eines Tages komplett werden verhindern lassen, davon geht keiner der Ansprechpartner in den Städten aus. Stellvertretend für viele andere kommentiert der Berliner Graffiti-Polizist Lindner: "In den Griff ist das nicht zu bekommen. Dafür ist das Problem zu vielschichtig."

 

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