Ob Makler manchmal mogeln?

Alle Jahre wieder: Die großen Beratungsunternehmen veröffentlichen ihre Marktzahlen. Teils unterscheiden sich die Ergebnisse jedoch in gravierender Art und Weise. Wir haben nachgefragt, warum das so ist.

Für diese Zeiten waren es gute Nachrichten, die Dr. Wulff Aengevelt auf dem Neujahrsempfang für den Düsseldorfer Büromarkt verkünden konnte: Weitgehend stabil sei der Flächenumsatz im Jahr 2003 geblieben, mit 262 000 vermittelten Quadratmetern liege man immer noch deutlich über dem Mittelwert der letzten zehn Jahre. So weit, so gut – allerdings hatten andere das ganz anders gesehen: 225 000 Quadratmeter vermeldete Atis Real Müller, herbe 23 Prozent weniger als im Vorjahr. Auch Jones Lang LaSalle hatte nur 234 000 Quadratmeter auf der Rechnung. Ebenfalls ein Rückgang im deutlich zweistelligen Prozentbereich.

Der Fall ist symptomatisch für das, was Investoren, Journalisten und Mieter Jahr für Jahr erleben können, wenn die großen Immobilienberater ihre Marktübersichten vorlegen: Die Zahlen unterscheiden sich teils gravierend. Wo der eine Grund zur Hoffnung sieht, vermeldet der andere ein rabenschwarzes Jahr, bleibt die Spitzenmiete hier zumindest auf Vorjahresniveau, so sackt sie dort deutlich ab.

Aber was ist nun mit den Düsseldorfer Zahlen? „Dazu stehen wir“, meint Thomas Glodek, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei Aengevelt. Der Grund: Der Großteil des Unterschieds ergibt sich nur dadurch, dass ein einziger großer Deal von den Researchern unterschiedlich verbucht wurde. Im Dezember 2002 mietete die Wirtschaftsprüfunggesellschaft Ernst & Young rund 40 000 Quadratmeter in der Landeshauptstadt – zumindest sahen die meisten Researcher das so und buchten den Umsatz auf das entsprechende Jahr. Glodek meint dagegen: „Wir wussten, dass ein Letter of Intent unterschrieben worden war. Aber es gab für die Fläche noch keine Baugenehmigung, noch nicht einmal einen Bauvorbescheid.“ Aengevelt entschied sich daher dazu, das Geschäft erst für 2003 zu verzeichnen. Angesichts der Flächengröße führte das zu dem gravierenden Unterschied in der Bewertung.

Manchmal hängt die Wahrheit vom Blickwinkel ab. Erst recht dann, wenn man sich vor Augen führt, wie die Berater zu ihren Zahlen kommen. In „schwarze“ und „graue“ Bereiche unterteilt das Günter Muncke, Leiter des Arbeitskreises Marktanalysen bei der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung gif. „Schwarz“ sind alle Abschlüsse, die ein Unternehmen selbst vermittelt hat. Hier kennt man die Fakten, die Miete, das genaue Unterzeichnungsdatum und kann dementsprechend genau verbuchen. „Grau“ sind die Umsätze, die man den Wettbewerbern überlassen musste oder die direkt zwischen Mieter und Eigentümer erreicht wurden.

Zwar sind die Märkte so transparent, dass die relevanten Deals in der Branche in der Regel bekannt werden. Teils werden die Zahlen auch zwischen den Maklerhäusern abgeglichen, aber wenn es an die Details geht, können schon einmal Unstimmigkeiten auftreten. Incentives sind so ein Fall: Räumt der Vermieter dem Mieter in einem fünfjährigen Vertrag ein halbes mietfreies Jahr ein, so verändert das den Mietzins unter dem Strich erheblich. Doch das erfährt manchmal noch nicht einmal der Makler, der das Geschäft angebahnt hat – pflegt der Mitbewerber keinen allzu guten Kontakt zu einer der beteiligten Parteien oder haben diese sich darauf verständigt, die Absprache nicht öffentlich zu machen, ist sein Researcher außen vor. Eine Folge dieser Tatsache ist, dass die Zahlen von Maklern mit hohem Marktanteil zumindest vom Potential her genauer sein können als die von Unternehmen, die nur wenige Abschlüsse selbst erzielen.

Weitere Unterschiede ergeben sich dadurch, dass viele Daten in die Zukunft zielen. So verkündete die Bahn vor kurzer Zeit die Entscheidung, die Bügelbauten am Lehrter Bahnhof in Berlin doch noch bauen zu wollen. Offiziell bemüht man sich für die Büroflächen um Mieter. Angesichts der Marktlage in der Hauptstadt und da der Vertrag für die in den Neunzigern von der Bahn gemieteten Flächen am Potsdamer Platz praktisch zeitgleich ausläuft, gehen Marktteilnehmer allerdings jetzt schon davon aus, dass der Bauherr selbst einziehen wird. Wo also erfassen? Spekulativer Bau oder Eigennutzung – fast eine Glaubensfrage.

Bei den Fertigstellungsvolumina hat unter anderem wegen solcher Fälle praktisch jede Research-Abteilung ihre eigene Kenngröße: Mal werden generell die Flächen im Bau angegeben, mal die Fertigstellungen im laufenden oder kommenden Jahr und mal nur das, was davon nach eigenem Kenntnisstand noch auf dem Markt ist. So oder so lasse sich in diesem Bereich nie für absolute Klarheit sorgen, erläutert Muncke: „Wenn ich als Investor mit hohem Leerstand konfrontiert bin, ist eine Möglichkeit, die Hälfte der Arbeiter von der Baustelle abzuziehen und die Arbeiten so in die Länge zu ziehen.“ Mit dem Effekt, dass die Büroflächen eben nicht 2004, sondern erst ein Jahr später als gerade fertig gestellt annonciert werden können.

Was ebenfalls für Unstimmigkeiten sorgt, ist die Tatsache, dass das, was gleich aussieht, es oft gar nicht ist. So reichen die Zahlen für den Flächenumsatz am Standort Frankfurt für das abgelaufene Jahr von knapp 428 000 Quadratmetern (CB Richard Ellis) bis zu 589 000 (Atis Real Müller). Trotzdem könnten beide Summen korrekt sein. Denn während einige Unternehmen nur Abschlüsse im Frankfurter Stadtgebiet mitzählen, rechnen andere angrenzende Standorte wie Kaiserlei, Neu-Isenburg oder Oberursel noch mit dazu. „Regionale Abgrenzung ist der Hauptgrund für die Unterschiede“, kommentiert das Helge Scheunemann, der den Research bei Jones Lang LaSalle leitet. Ähnliches gilt auch für München mit seinem umfangreichen Hinterland.

Auch andere Kriterien, nach denen verbucht wird, unterscheiden sich von Marktteilnehmer zu Marktteilnehmer: So fließen Untermietflächen teils in die Leerstandszahlen ein, teils werden sie getrennt verbucht oder komplett außer Acht gelassen. Und auch in der Frage, ob man Eigennutzer mit in die Statistik einrechnen sollte, ist die Branche gespalten.

Ein Makler-Babylon? So schlimm ist es auch nicht, findet Wolfgang Schneider von Atis Real Müller: „Investoren und Mieter informieren sich genau. Die wissen, was sie tun.“ Unter die Räder kommen solche Feinheiten allerdings in der Regel in der Nicht-Fachpresse. Denn die meisten Journalisten haben nicht den Ehrgeiz, lange Expertisen durchzuarbeiten und in den zweiseitigen Kurzzusammenfassungen, die von den Immobilienberatern verschickt werden, fehlen die Erläuterungen zu den Zahlen des öfteren. Und selbst, wenn sie aufgeführt sind, heißt das noch lange nicht, dass sie in dem Vierzigzeiler, der aus der Mitteilung gemacht wird, ihren Niederschlag finden.

Dafür wird oft genug die Zahl veröffentlicht, die als erste auf den Schreibtisch flattert – was auch den Presseabteilungen der Unternehmen bekannt ist. „Es ist schön, wenn man erwähnt wird“, meint Jones-Lang-Mann Scheunemann, um hinzuzufügen, dass man es nicht unbedingt darauf anlege, der erste zu sein. Zur Jahrespressekonferenz lud das Unternehmen im abgelaufenen Jahr trotzdem schon Mitte Dezember. „Wir liefern dann die bestmöglichen Zahlen, die Anfang Januar noch einmal korrigiert werden“, erläutert Scheunemann. Allerdings sind dann die ersten Werte schon in der Welt, was besonders deshalb zur allgemeinen Verwirrung beiträgt, weil traditionell kurz vor Jahresabschluss besonders viele Geschäfte abgeschlossen werden. Jones Lang LaSalle ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall: Nachträgliche Korrekturen gehören auch bei den meisten anderen zum Alltag.

Bleibt noch eine Frage: Wäre es möglich, dass Makler manchmal mogeln? Immerhin ließen sich mit wenigen Handgriffen die Markttendenzen deutlich verändern, wie das Düsseldorfer Beispiel beweist. Für ihre eigenen Unternehmen weisen das alle Verantwortlichen natürlich weit von sich. Doch gif-Chef Hartmut Bulwien weiß von Fällen, in denen beim Umsatz Bruttogeschossflächen und beim Leerstand Netto-Werte eingerechnet wurden. Und auch aus dem Markt hört man, dass es schon vorgekommen sein soll, dass Abschlüsse einfach zweimal verbucht wurden oder dass eine einmalig erzielte Spitzenmiete in unwiederholbarer Höhe zum marktgängigen Wert gemacht wurde –nicht im eigenen Unternehmen natürlich, sondern bei einem Mitbewerber.

Allerdings muss man zugestehen, dass sich die Zahlen durchaus vergleichen lassen, wenn man die Hintergründe kennt. Und das wird aufmerksam getan. Wer mit seinen Werten weit neben denen aller anderen liegt, muss dies begründen können, um sich nicht verdächtig zu machen. So erkennt Bulwien an, dass die Daten in den letzten zehn Jahren deutlich besser geworden seien und Aengevelt-Mann Glodek verweist darauf, dass es weniger um die letzten hundert Quadratmeter Vermietungsvolumen gehe, sondern um die generellen Trends, bei denen in der Regel Einigkeit herrsche.

Gif-Arbeitskreis-Chef Muncke will sich mit solchen Unschärfen jedoch nicht abfinden: „Das Kraftfahrt-Bundesamt kann Ihnen an jedem Tag genau sagen, wie viele blaue Autos zugelassen sind“, skizziert er den Punkt, den er gern erreichen möchte. Auch die gif veröffentlicht Marktdaten. Diese beruhen darauf, dass die Mitgliedsunternehmen ihre Erkenntnisse bei Arbeitstreffen auf den Tisch legen - Muncke geht davon aus, dass ihre Zahlen durch die große Datenbasis genauer sind als die der einzelnen Unternehmen: „85 bis 90 Prozent können wir schwarz machen“, skizziert er im eigenen Farbenschema. Aber ein Grundproblem bleibt bei dieser Vorgehensweise: Was in den Sitzungen verraten wird, wissen die Mitbewerber von da an auch – und gerade bei außergewöhnlichen Abschlüssen lässt man sich naturgemäß ungern in die Karten sehen. Muncke favorisiert daher ein Blind-Modell: Schon heute existiert die Deutsche Immobiliendatenbank in Wiesbaden. Würden die großen Beratungsunternehmen ihre Daten hier eingeben, so würde nur die Summe öffentlich. Die Einzelheiten blieben vor den Augen der anderen verborgen, so dass man hier auch Details zur Auswertung stellen könnte, die man ansonsten möglicherweise für sich behalten würde.

Zurzeit wird die Datenbank allerdings vor allem von Investoren gefüttert – von den großen Maklerhäusern beteiligen sich nur Jones Lang LaSalle und Aengevelt. Trotzdem dürfte dieses Modell noch die größten Chancen bieten, eines Tages zu der einen Zahl zu kommen, auf die sich alle einigen können. Auch Aengevelt-Öffentlichkeitsarbeiter Glodek erkennt den Charme der Idee: „Da sich so keiner auf Kosten der anderen profilieren könnte, ließe sich mit so etwas leben.“

In einer Hinsicht sind sich allerdings alle Beteiligten einig. Muncke formuliert stellvertretend für die anderen: „Man wird das Leben nie voll in den Griff bekommen. Hundert Prozent Genauigkeit – das kann man sich abschminken.“

 

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