Putz die Platte

Die Wohnungsgesellschaften im Berliner Osten kämpfen um Mieter und ein besseres Image. Beispiele für gute Marketingideen.

Die Single-Party schlug die höchsten Wellen: Die Nachricht, dass ausgerechnet eine Wohnungsgesellschaft im Ost-Berliner Plattenbau-Quartier Hellersdorf Anstrengungen unternahm, um ihre Mieter miteinander zu verkuppeln, sorgte in der Hauptstadt für große Medienresonanz: Verzweiflungstat? Oder, wie man hätte unterstellen können, der Versuch, auf rein biologischem Weg für neue Bewohner zu sorgen, wenn sich schon nicht genug externe Interessenten für leerstehende Wohnungen finden?

Man habe schon einen gewissen Engpass an Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen, während größere Einheiten schwieriger zu füllen seien, räumt Olaf Dietze, Pressesprecher der Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf ein. Doch ein bisschen mehr Hintergrund hatte es schon, dass ein Vermieter unter die Party-Veranstalter ging: Die Events sorgten für Aufmerksamkeit und werteten so das Image der nicht wirklich gut beleumundeten Großsiedlungen ein wenig auf. Außerdem halfen sie, die Anonymität des Quartiers aufzulockern und so die Bewohner enger an „ihre“ Plattenbausiedlung zu binden.

Die Parties sind das Ergebnis eines Brainstormings zwischen WoGeHe und dem Kulturzentrum Villa Pelikan und stießen von Anfang an auf große Resonanz. Als Kernzielgruppe kristallisierten sich dabei schnell die Über-Vierzigjährigen heraus. „Es soll einfach eine Möglichkeit sein sich kennenzulernen“, meint Organisatorin Christiane Winzer dazu. Aber auch richtige Paare durch die Partys gebe es schon, „zumindest für den Abend“, so Winzer augenzwinkernd.

Not macht die Wohnungsgesellschaften erfinderisch: Es gibt sicher einfachere Arbeiten, als ausgerechnet im Berliner Osten Mieter für die Großsiedlungen aus DDR-Zeiten finden zu müssen. Der Markt in der Hauptstadt ist ein Mietermarkt, Wohnraum ist auch innerstädtisch in ausreichender Zahl für wenig Geld verfügbar. Dazu kommt, dass das, was in den Sechziger und Siebziger Jahren noch als die Wohnform der Zukunft gepriesen wurde, absolut nicht mehr im Trend liegt. Zu große Einheiten, einfallslose Architektur – und dann noch die Lage: Zu weit außerhalb, um mit Urbanität punkten zu können und zu gesichtslos, um beim Werben um stadtmüde Familien erste Wahl zu sein.

Trotzdem stehen die Siedlungen, in nackten Zahlen gesehen, gar nicht so schlecht da: Die Bewohner des Plattenbau-Bezirks Marzahn-Hellersdorf sind jünger als der Berliner Durchschnitt und verfügen über das zweithöchste Durchschnittseinkommen in der Stadt. Wo die Sanierungsprogramme der letzten Jahre gegriffen haben, liegt der Leerstand exakt im stadtweiten Durchschnitt.

Die einigermaßen erträgliche Lage liegt vor allem daran, dass die Platte bei denen Wertschätzung genießt, die noch zu DDR-Zeiten eingezogen sind. Außerhalb dieses Personenkreises tut man sich allerdings schwer damit, potentielle Bewohner für die Großsiedlungen zu interessieren. Das Marketing der Wohnungsgesellschaften ruht daher auf zwei Säulen: Mieterbindung und Aufbesserung des Images.

Vermittlung durch Angehörige

Vor allem die zufriedenen Bewohner werden gezielt als Multiplikatoren eingesetzt: Die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn etwa bietet Rabatte in der Platte für Mieter, die Angehörige in eine WBG-Wohnung holen: Für jeden vermittelten Verwandten gibt es einen Abschlag von 50 Cent auf den eigenen Quadratmeterpreis. Vor allem die erwachsenen Kinder der Bewohner sollen so in der Siedlung gehalten werden. Aber auch pflegebedürftige ältere Angehörige stehen im Fokus, die man zudem mit behindertengerechten Angeboten und Concierge-Service umwirbt.

Im benachbarten Hellersdorf hat man aus ähnlichen Gründen die Hellersdorfer Ausbildungs-Förder-Grundmiete HAFöG erfunden: Azubis und Studenten unter 27 bietet man Dreizimmerwohnungen für 100 Euro Grundmiete an. Zwar mit kleinen Fehlern, wie etwa einer Lage im 5. oder 6. Stock ohne Fahrstuhl, wie WoGeHe-Sprecher Olaf Dietze einräumt. Aber dafür eben auch sehr preiswert - und nicht ohne Erfolg: Rund 200 Mietverträge sind unter Dach und Fach, Interesse haben schon mehr als 1000 potentielle Bewohner bekundet. Auch hier will man die inzwischen erwachsenen Siedlungskinder im Quartier halten, zum anderen hofft man, Neumieter zu gewinnen, die noch mehrere Jahrzehnte ihres Lebens vor sich haben – idealerweise in einer WoGeHe-Wohnung.

Villa Kunterbunt im Osten

Auch hat sich im Berliner Osten flächendeckend die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die Fülle von unsanierten und schwer bis gar nicht vermittelbaren Wohnungen durchaus als Kapital einsetzen lässt – etwa als Spielmaterial für unkonventionelle Ideen. So sorgte im vergangenen Sommer die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf für Aufsehen, als sie einen leerstehenden Elfgeschosser in die Hände von 50 Künstlern gab, die den Bau während dreier Monate mit Installationen, Wandbildern und mehr in eine Villa Kunterbunt verwandelten. Und auch wenn ab und zu die Polizei kam, weil Nachbarn Probleme mit der neuen Fenster- und Fassadengestaltung hatten: Für Aufmerksamkeit war die Aktion in jedem Fall gut. Das Medienecho reichte quer durch die deutsche Zeitungslandschaft – bis in die Schweiz wurde über das Kunstprojekt berichtet.

Ein weiteres Kunst-Hochhaus steht in Marzahn. Dazu engagierte die Wohnungsbaugesellschaft den Performance-Künstler Hans Peter Kuhn, der schon die Baukräne am Potsdamer Platz ins rechte Licht gesetzt hatte. Zum Millennium tauchte der Künstler die Marzahner Skyline in 44 verschiedene Gelb-, Rot- und Blautöne – zur großen Freude der Bewohner, die die Scheinwerfer am liebsten für immer behalten hätten.

Die Gesellschaften in Lichtenberg und Hohenschönhausen nutzten den Leerstand dagegen für Handfesteres: Im Rahmen von Aktionen wie der Winterschluss-Vermietung präsentierte man Angebote, in deren Rahmen sich innerhalb einer bestimmten Frist etwa 77 Quadratmeter Wohnfläche für 340 Euro inclusive Nebenkosten ergattern liessen – ein Preisniveau, mit dem nicht einmal unsanierte Altbauten in den ebenfalls mit Image-Problemen geschlagenen Innenstadt-Bezirken Neukölln und Wedding konkurrieren konnten. Natürlich wurde auch hier Wohnraum vermarktet, der anderweitig kaum zu vermitteln gewesen wäre, bei dem also jeder Euro über den Betriebskosten die Bilanz der mit hohen Altschulden belasteten Wohnungsgesellschaften entlastete.

Doch nicht alles lässt sich über den Preis regeln. Auch wenn man inzwischen Rundfahrten und geführte Spaziergänge durch die Quartiere anbietet - schwierig ist es für die Wohnungsgesellschaften allein schon, Interessenten dazu zu bewegen, sich vor Ort ein Bild zu machen. Vorstellungen von schmutzig-grauer anonymer Schuhkarton-Architektur halten sich vor allem bei denen hartnäckig, die Marzahn oder Hellersdorf noch nie betreten haben.

Dazu kommt, dass die Stadt in den Köpfen vieler Bewohner auch 13 Jahre nach dem Mauerfall noch in West und Ost geteilt ist. Einen West-Berliner dazu zu bewegen, die Ost-Berliner „Platte“ als Wohnort ins Auge zu fassen, setzt eine ganze Menge Überzeugungsarbeit voraus. „Wenn die Leute zu uns ziehen, dann hat das schon meistens etwas mit den Kosten oder der Klientel zu tun“, kommentiert Erika Kröber von der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn.

Immerhin hat Berlin im Gegensatz zu vielen anderen ostdeutschen Regionen nicht mit einem generellen Bevölkerungsexodus zu kämpfen. Trotzdem: Hatte Marzahn zu DDR-Zeiten noch 163 000 Einwohner, so sind es inzwischen nur noch 136 000. Großflächige Abrisse stehen derzeit trotzdem nicht zur Debatte – eher aus städtebaulichen Gründen werden vereinzelt Gebäude abgebrochen.

Was die Zukunft angeht, setzt man stattdessen auf Sanierung, weitere Marketingmaßnahmen und Hoffnung: In etwa zehn Jahren soll nach dem Rahmenplan auch das letzte Hochhaus auf den aktuellen Standard gebracht worden sein – und in der sanierten Platte ist der Leerstand laut Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) nicht höher als im Rest der Stadt. Auch die EU-Osterweiterung soll neue Bewohner bringen, so das Kalkül. Und wer weiß - vielleicht ja auch doch ein bisschen die Single-Parties.

 

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