Verändern verboten?

Sanieren, modernisieren, umnutzen, anbauen - dem Bauen im Bestand kommt ein immer größeres Gewicht zu. Damit wächst auch die Bedeutung eines Themas, das gern übersehen wird: Dem Urheberrecht des Architekten an dem von ihm entworfenen Bauwerk.

Das Land Berlin hat alles richtig gemacht, findet die Bayerische Architektenkammer. Auf ihrer Website dokumentiert sie ein Schreiben, in dem das Land nach Erben des Geheimen Regierungsrats Prof. German Bestelmeyer fahndet. Dieser hatte kurz nach dem ersten Weltkrieg das Gebäude der ehemaligen Reichsschuldenverwaltung entworfen. An dem Bau standen zur Zeit der Anfrage größere Arbeiten an - die ausführende Senatsverwaltung wollte vorab sicherstellen, dass die Nachkommen des Regierungsrats während der Bauphase keine Einsprüche erheben würden.

Denn auch wenn es gerne vergessen wird: Das Urheberrecht umfasst auch architektonische Leistungen, wenn dem Ursprungsbau eine künstlerische Qualität zugebilligt wird. Und das ist gar nicht so selten der Fall. Das Recht ist nicht übertragbar, geht auf die Erben über und erlischt erst 70 Jahre nach dem Tod des Planers. Das ist eine lange Zeit - und was immer währenddessen am äußeren Erscheinungsbild eines Baus geändert werden soll, ist zustimmungspflichtig - ein Thema, das immer wieder für gerichtliche Auseinandersetzungen sorgt. So musste sich die Hanseatische Veranstaltungs GmbH zu Anfang des Jahres gezwungenermaßen mit dem Urheberrecht auseinandersetzen: Nach gut 40 Jahren hatte sie eine aus wirtschaftlicher Sicht dringend gebotene Moderniserung und Erweiterung der Bremer Stadthalle geplant. Allerdings legte der inzwischen hochbetagte Planer des Baus, Professor Roland Rainer, dagegen sein Veto ein. Er wehrte sich gegen die seiner Ansicht nach "Verschandelung" seines Entwurfs und zog bis vor das Bundesverfassungsgericht, um die Arbeiten per einstweiliger Verfügung stoppen zu lassen. Dort allerdings scheiterte Rainer. "Die Richter haben honoriert, dass mögliche Veränderungen ausdrücklich im Vertrag thematisiert worden waren", erklärt Thorsten Haar von der GmbH. "Sie haben festgestellt, dass die Halle ein Zweckbau ist und dass keine Kommune solche Bauten mehr in ausdrucksvoller Form realisieren würde, wenn damit solche Einschränkungen bei späteren Modernisierungen verbunden wären."

Gut für die Bremer - aber keinesfalls selbstverständlich. "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand", zitiert Dr. Tillman Prinz, Geschäftsführer der Bundesarchitektenkammer, ein altes Sprichwort. Das fängt mit der Definition von künstlerischer Eigenständigkeit an: Der Bundesgerichtshof versteht unter einem "Werk der Baukunst" eine "eigenpersönliche geistige Schöpfung, die mit Darlegungsmitteln der Kunst durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht ist und deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach den im Leben herrschenden Anschauungen noch von Kunst gesprochen werden kann, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das Werk neben dem ästhetischen Zweck noch einem praktischen Zweck dient".

Was das bedeutet, darüber lässt sich streiten. In der Regel kommen daher im Streitfall Gutachter ins Spiel, in der Vergangenheit haben Gerichte auch schon individuell geplanten Einfamilienhäusern das Prädikat der Baukunst verliehen. Auch Außenanlagen oder Details sind schutzwürdig, etwa eine spezielle Kassettendecke - mit allen damit verbundenen Einschränkungen. Prinz, der selbst über das Thema Urheberrecht in der Architektur promoviert hat, rät daher dazu, sich frühzeitig mit dem Architekten oder dessen Erben und Verbindung zu setzen und einen Kompromiss zu finden - allein um Zeit und Nerven zu sparen. Im Streitfall gilt es allerdings für die Richter, einen Ausgleich zwischen dem Urheberrecht und den Eigentumsrechten des Besitzers der Immobilie zu finden. Er skizziert auch die Grenzen des Urheberrechts: "Was zum Erhalt eines Bauwerks nötig ist, kann man machen. Auch wenn der Nutzungszweck gefährdet ist, kann sich der Architekt nicht wehren." Geschmacksfragen spielen bei der Definition dagegen ausdrücklich keine Rolle.

Derweil ist Nürnberg bereits der nächste Streit am Horizont erkennbar: Die Stadt musste eine europaweite Ausschreibung zur Umgestaltung des Hallenbads Süd aussetzen, weil der Sohn des Architekten sein Veto eingelegt hatte. Da dieser selbst Inhaber eines Architekturbüros ist, herrscht bei der Kommune der Eindruck, dass es dem Planer vor allem darum geht, selbst den Auftrag für die auf rund 15 Millionen Euro kalkulierte Umgestaltung des Bads zur Wellness-Oase zu ergattern. Sollte dem so sein, wäre das laut Prinz ärgerlich, aber rechtlich nicht zu beanstanden. Denn zwar findet sich im Gesetz keine Verpflichtung, den Urheber oder dessen Erben auch mit der Planung von Umbauten zu beauftragen, andererseits hält dieser durch das Urheberrecht ein Druckmittel in Händen, mit dem er Arbeiten zumindest verzögern kann. Deshalb rät Prinz auch hier zur Suche nach einem Ausgleich - und weist gleichzeitig darauf hin, dass ein solches Vorgehen auch für den Eigner einer Immobilie handfeste Vorteile haben kann: "Der ursprüngliche Architekt hat sich intensiv mit seinem Bau beschäftigt und hat für Erweiterungen und Umbauten vielleicht schon den Lösungsansatz in der Schublade."

Werden die Regeln verletzt und erst im Nachhinein beanstandet, kann für den ursprünglichen Planer zumindest ein Anspruch auf Schadenersatz entstehen. Laut Bayerischer Architektenkammer ist dabei im Extremfall sogar eine Herausgabe des durch die Baumaßnahmen erzielten Gewinns denkbar. Aber auch wenn das Urheberrecht als höchstpersönliches Recht des Architekten nicht übertragbar ist, lässt sich im Architektenvertrag Vorsorge treffen. So sollte sich der Auftraggeber zumindest die Nutzungsrechte einräumen lassen. Auch eine Klausel, nach der Änderungen am Bau möglich sein müssen, wenn wirtschaftliche Gründe dies erfordern, fand sich etwa im Kontrakt zur Bremer Stadthalle und erwies sich später vor Gericht als ausgesprochen nützlich. Theoretisch denkbar wäre sogar ein Passus, in dem der Architekt erklärt, sein Urheberrecht nicht auszuüben - allerdings würde sich in der Praxis wohl kaum ein Planer auf einen so weitreichenden Verzicht einlassen.

Angesichts der Fülle der Urteile zum Thema finden sich in der Rechtsprechung aber auch ausgesprochene Kuriositäten: So hat laut Bundesgerichtshof der Architekt durchaus das Recht, sein künstlerisch wertvolles Werk zu signieren - will sagen, mit einem Namensschild zu versehen. Dieses muss allerdings dezent sein und darf nicht in erster Linie werbenden Charakter haben. Das Ansinnen eines Planers, einem Bauträger zu verbieten, Außenjalousinen an einer von ihm entworfenen Reihenhausanlage zu verbieten, wies das Landgericht Düsseldorf dagegen ab. Dagegen stellte das Landgericht Leipzig sogar den Entwurf einer Toilettenanlage unter den Schutz des Urheberrechts - allerdings in einem speziell gelagerten Fall: Der Kläger hatte eine Reihe von Sanitäreinrichtungen für Autobahnraststätten entworfen. Der Auftraggeber nahm nun diese Planung und ließ danach noch viele weitere Toilettenhäuschen errichten, ohne den Architekten dafür zu entlohnen. Ein solches Plagiat sei nicht zulässig, so die Richter.

 

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