Der Milde

Viel Lärm um Wiglaf Droste. Das war einmal. Dass der Autor Feministinnen zum Aufheulen brachte, Bundeswehrsoldaten oder ostdeutsche Bürgerrechtler, das ist schon einige Zeit her. Zwar sind die Säle gut gefüllt bei den Lesungen und Gesangsabenden des 42-jährigen, doch irgendwie fehlt was: Es gibt kaum noch Ärger. Neuerdings beschäftigt sich Droste mehr mit Lebensmitteln als mit Lieblingsfeinden. Ist der Mann bald reif fürs Schulbuch?

Frage: In Deinen neueren Texten geht es viel um Küche und Liebe und nur noch wenig um Polemik. Woher kommt der Rückzug ins Private?

Droste: Bei mir immer hat es schon immer ganz andere Tonfälle gegeben. Ich stelle sie jetzt nur etwas stärker in den Vordergrund. Sicherlich kann man sich in einer künstlerischen Notwehrbewegung auch noch mit Figuren wie Möllemann, Westerwelle, Ole von Beust oder dergleichen beschäftigen. Nur, da geht es überhaupt nicht mehr um Ideen. Das ist wie mit der Fliegenklatsche surrende Lästigkeiten zu verscheuchen.

Frage: Das heißt, dass die Charaktere fehlen?

Droste: Das heißt vor allen Dingen, dass Ideen fehlen – es geht nur noch um die Verwaltung von Elend. Und da ist doch die Liebe meinetwegen ein unvergleichlich viel größeres Thema. Ich habe auch überhaupt keine Lust mehr dazu, irgendeine Erwartung zu erfüllen. Es gab früher mal ein Publikum – ich will mal sagen, Titanic-lesende junge Männer um die 30, die von einem erwarteten, dass man möglichst hart und polemisch für die formulierte, was denen so im Kopf rumging.

Frage: Und was für ein Publikum willst Du haben?

Droste: Das, das ich jetzt habe: Vornehmlich unglaublich kluge und schöne Frauen. Also wenn man die Wahl hat, nimmt man doch das, wenn man nicht verrückt ist.

Frage: Welches war eigentlich Dein allererster veröffentlichter Text?

Droste: Das war `79 in der Schülerzeitung im Gymnasium Hepen. Da wurde die zur RAF gezählte Elisabeth van Dyck in Nürnberg von zwei Polizisten von hinten erschossen. Ich war in dem Alter, wo man Fairness noch aus den alten Western gelernt hat. Wo man sagt: „In den Rücken schießen geht nicht. In den Rücken schießen ist Mord.“

Außerdem war das die Zeit, wo Bäcker und Bäckerin morgens das Erschießen ganz persönlich nachvollzogen, indem sie die Leute auf dem Fahndungsplakat mit dem Edding noch mal durchgestrichen haben. Darüber habe ich geschrieben. Es ging gar nicht darum zu sagen: „Ich finde die RAF toll!“ Es ging um den Ekel darüber, dass in der Zeitung Leitartikel standen, als feiere man in „Jagd und Hund“ was man da zur Strecke gebracht hat.

Frage: Was war die Reaktion?

Droste: Mehrere Lehrer und Elternpflegschaftsmenschen haben verlangt, dass ich von der Schule relegiert werde. Die haben diesen Text einfach nicht begriffen. Naja, es gab damals einen sehr vernünftigen Direktor, der nichts weiter gesagt hat als „Papperlapapp“. Es ist dann in der Sache nichts weiter passiert.

Frage: Nicht unbedingt das letzte Mal, dass es Ärger wegen Deiner Texte gab…

Droste: Das erlebe ich seitdem in unschöner Regelmäßigkeit. Ich dachte damals, das ist doch ganz klar: Hier steht schwarz auf weiß das – und geredet wurde über etwas, das in diesem Text nicht stand. Es ist schon recht seltsam. Die Tatsache, dass jemand Schriftsteller ist, wird wahrgenommen, wenn es alle zwei Jahre einen Skandal gibt. Alles, was man sonst macht, wird nicht öffentlich diskutiert.

Frage: Keine Absicht?

Droste: Die Entscheidung, etwas zu skandalisieren, trifft ja nicht der Autor. Und wenn es dann das zweite oder dritte Mal war, dann kommen diese merkwürdigen Heinis angelaufen und sagen: „Ja, der macht das ja nur wegen des Skandals.“ Dann steht jeder Text, den man schreibt, unter Generalverdacht.

Frage: Aber zumindest macht man sich bekannt.

Droste: Nach meiner eigenen Erfahrung ist es so, dass ein junger Autor das auch genießt, weil es das Ego streichelt. Aber je erfahrener man ist, um so klarer wird, worum es eigentlich geht: Um schreiben zu können, braucht man seine Ruhe. Das war früher den Leuten klar - heute gibt es ja Menschen wie Christoph Schlingensief, die nicht mehr arbeiten können, wenn nicht 17 Kameras um sie rum sind.

Frage: Und so etwas lässt sich nicht kalkulieren?

Droste: Es mag Autoren geben, die das machen. Aber da sind die Medien selbst zu blöd, wenn sie drauf reinfallen. Nach meiner Erfahrung ist es so, dass es eine heftige öffentliche Reaktion ausschließlich bei Texten gibt, bei denen keiner der Beteiligten jemals mit so was gerechnet hat. Bei Texten, wo man denkt, irgendjemand im Rundfunkrat wird dabei durchdrehen, passiert dann gar nichts.

Frage: Andererseits hast Du immer wieder mit Vorliebe Deine eigene Zielgruppe aufs Korn genommen. Das musste Ärger geben.

Droste: Also, wenn man es in Deutschland mit linkem Publikum zu tun hat, dann hat man es meistens mit Evangelischen zu tun. Das ist die klassische linke Ethik des Verzichtens: So lange nicht alle Menschen auf der Welt so und so leben können, darf ich es auch nicht. Und weil ich es nicht darf, habe ich das Recht, es anderen zu verbieten. Diese knauserige, kniepige Art hat mich immer gestört.

Frage: Warum wohnst Du dann eigentlich immer noch in Kreuzberg? Eigentlich müsste das doch ein Kulminationspunkt Deiner Feindbilder sein.

Droste: Ich wohne ja nicht beruflich. Und die Zeiten, als Kreuzberg von Berufs-Kreuzbergern bewohnt wurde, sind ja verstrichen. Es ist angenehm hier, weil der öffentliche Fokus auf ganz anderen Bezirken liegt – eine Zeit lang war es Prenzlauer Berg, jetzt ist es eher Friedrichshain. Diese Stadtteile, die gerade so fürchterlich modern sind, da laufen viel zu viele von diesen unangenehmen Leuten rum. In dem Moment, wo sich die mediale Öffentlichkeit nicht mehr für einen Landstrich interessiert, ist er bewohnbar.

Frage: Allerdings ist Kreuzberg gerade wieder in Gefahr hip zu werden. Universal ist auf der anderen Spree-Seite, „Herr Lehmann“ kommt in die Kinos. Droht jetzt nicht die Invasion?

Droste: Weder „Herr Lehmann“ noch Universal, rühren mich außeroberflächlich. Universal zog da hin und wollte zeigen: Wo immer wir sind, ist der wichtigste Platz auf der Welt. Und jetzt kann man im Wirtschaftsteil nachlesen, dass es sich damit ganz anders verhält. Also die Aufschneider- und Angebersorte Mensch – in der Schule früher nannten wir die Weitwichser. Aber Berlin ist ja groß und anonym genug: Man findet hier einen Platz, wo man, wenn man gestorben ist, acht Monate nicht gefunden wird. Das habe ich immer für Lebensqualität erachtet. Und wenn es einem zu dumm wird, kann man fünf Straßen weitergehen und dann findet man seine Ruhe.

 

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