Klein und niedlich für die Opas

7000 Kinder und Jugendliche leben in Deutschland auf der Straße. Sagt das Bundesfamilienministerium. Andere sprechen auch von 50.000. Romantisch? Katharina hat es am eigenen Leib erfahren.

"Ich hab' mir obdachlose Frauen angeguckt. die mit dem Einkaufswagen durch die Straßen ziehen. So wollte ich nicht enden." Katharina zieht an ihrer Zigarette. Blass wie sie ist, etwas pummelig, mit kleinen Pupillen und tiefen Ringen unter den Augen. sieht sie älter aus als die zwanzig Jahre, die in ihrem Ausweis stehen. "Solange Du jung bist, kommst Du klar auf der Straße, da will Dich jeder mitnehmen: ,Klar. Du kannst bei mir pennen...' Aber das ist auch Scheiße."

Mit 15 hat sie zum ersten Mal Heroin gespritzt. "Ich weiß gar nicht, ob ich am Anfang was gemerkt habe. Ich war einfach schussgeil." Vorher hatte sie schon die Tournee durch verschiedene Heime im Ruhrgebiet hinter sich, weg von ihrer depressiven Mutter. Nachher gings weiter durch diverse Wohnungen, besetzte Häuser und unter die S-Bahn-Brücken: "Im Winter nimmt man halt mehr Decken, Lagerfeuer, mein Freund neben mir im Schlafsack, dann geht das schon." In dieser Zeit hat sie alles genommen, was eben da war, "Schore", also Heroin, Speed, Pillen, Schnaps, ganz egal. "Die Straße war geil. das freie Leben. Lieber schnorren statt arbeiten."

Fälle wie der von Katharina machen Staat und Städte ratlos: "Um mehr Lösungsansätze als bisher zu finden. habe ich ein Aktionsprogramm gestartet. Vor allem wollen wir konkrete, modellhafte Vorschläge erarbeiten, wie wir die bestehenden Mängel in der Praxis der Jugendhilfe beseitigen können", ließ sich etwa Bundesjugendministerin Claudia Nolte im "Spiegel" zitieren. Dabei werden Heime und Jugendpsychatrien von den Kids eher als Gefängnisse angesehen, und auch die sogenannten "niedrigschwelligen Einrichtungen", die Straßenkids die Möglichkeit bieten, einfach ein paar Stunden ein Dach über dem Kopf zu haben, Wäsche zu waschen oder sich auf freiwilliger Basis beraten zu lassen, können nur als kurzfristige Anlaufstelle dienen.

Außerdem müssen sie in der Regel mit knappsten finanziellen Mitteln auskommen. Christa Lessel arbeitet im Trebecafe in Düsseldorf, einer solchen Einrichtung: "Vor kurzem hat hier der Jugendhilfeausschuß getagt", beschreibt sie die Situation. "Die haben sich sehr für unsere Arbeit bedankt und uns dann klargemacht, dass die Stadt bis Ende 1998 kein Geld mehr zur Verfügung stellen kann."

Und das, obwohl in unmittelbarer Nähe des Cafes schon dreizehnjährige Mädchen auf den Strich gehen und Dutzende Jugendlicher unter den Säulen hinter dem Hauptbahnhof übernachten. Auch Katharina hat sich über Wasser gehalten, indem sie gedealt hat und anschaffen gegangen ist: "Zu mir kamen immer die Opas, weil ich mit fünfzehn noch so klein und niedlich war."

Heute ist Katharinas Situation halbwegs gefestigt. Ihr heutiger Freund hat sie aus der Szene herausgeholt. Sie lebt in einer Wohngemeinschaft des Diakonischen Werks und spritzt nur noch ab und zu. Perspektive? "Ich habe mal versucht, die Schule zu Ende zu machen. Aber das habe ich nach einem halben Jahr aufgegeben, weil ich mit den vielen Leuten nicht klarkam. Vielleicht versuche ich das später nochmat, aber meistens vertief' ich mich in mich selber, sitze vor der Glotze, lieg' im Bett. Alleine rauszugehen trau' ich mich nicht mehr, und wenn es hochkommt, mache ich mir wieder 'nen Knaller, schmeiß eine Pille oder hole mir mit meinem Freund eine Flasche Korn, damit ich nicht dran denken muss."

 

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