Halt die Kappe

Michael Moore ist nicht richtig schlecht. Nur seine Fans nerven.

Mütze hoch, Mütze runter. Das macht Michael Moore immer, wenn er das Gefühl hat, dass ihm eine Pointe gelungen ist. Er schiebt das obligatorische Basecap am Schirm aus der Stirn auf den Hinterkopf und wieder zurück Yes, Sir. Auch wenn er mal dringend nachdenken muss über das, was da gerade gefragt wurde, kommt die Mütze zum Einsatz. Allerdings ist die Geste dann bedächtiger. In schwierigen Fällen streicht er die Haare darunter glatt und schiebt die Brille von der Nasenspitze wieder an die Augen.

Im Moment ist für den Macher von „Bowling for Columbine“ und Autor von „Stupid White Men“ eher „Yes Sir“-Zeit. Das aktuelle Buch „Dude, where’s my Country?“, für dass sich irgendwer den begnadeten deutschen Titel „Volle Deckung, Mister Bush“ ausgedacht hat, toppt sogar noch den Erfolg der dummen weißen Männer. Auf der gerade zu Ende gegangenen Lesereise durch Deutschland wurde dem Guerilla-Filmer eine Behandlung zuteil, die man sonst nur bei Popstars findet: Überfüllte Hallen, Menschenmassen, die von glatzköpfigen Muskelmännern kanalisiert werden müssen, Bodyguards vor der Bühne, die auch direkt von der CIA hätten gestellt sein können.

Mütze hoch, Mütze runter. Yes Sir. „Ich habe die meisten Lösungen nicht. Ich hoffe, mit meiner Arbeit jemanden zu inspirieren, der smarter ist als ich und der sie dann findet“, sagt Moore. Seinem deutschen Publikum ist das allerdings egal – die Stimmung ist kurz vor religiöser Erweckungsveranstaltung: „Bravo“, „ja, genau“ und „Michael, we need you“. Eigentlich reicht schon die bloße Erwähnung des Namens des aktuellen amerikanischen Präsidenten, um die Party starten zu lassen. „Es sollte einem Land verboten werden, einen Staat zu bombardieren, den die meisten Einwohner noch nicht einmal auf der Karte finden.“ Mütze hoch, Mütze runter. Yes Sir.

Dreht man den Fokus auf unscharf und lässt die unzähligen Medienberichte und Interviews der letzten Wochen an sich vorbeiplätschern, hört man nur noch eine Suada aus „GeorgeW.BinLadenCorporateAmericaCheneyNineElevenBushBushBush“. Und genau die ist es auch, die den Erfolg von Moore hierzulande ausmacht. Auf der einen Seite der Präsident, der sinnlos Kriege anzettelt und den Leuten schon vorher durch sein Wahlgeschacher hochgradig unsympathisch geworden war. Auf der anderen Seite das Land, das irgendwie immer noch für Freiheit und Rock’n’Roll steht und das man doch eigentlich ganz gerne liebhaben möchte.

In der Opposition ist es am schönsten

Auftritt Moore: Eigentlich Amerikaner durch und durch, frech, große Schnauze, mit Vorlieben für Fastfood und unvernünftig große Autos – aber bauernschlau, wütend und vor allem auf der richtigen Seite. Sie mussten ihn einfach lieben. Dass einer „der pro-amerikanischen, unterwürfigen Mehrheitsmeinung in Deutschland etwas entgegensetzt“, lässt sich nach dem Berliner Auftritt einer mit Freude im Tagesspiegel zitieren, der auch noch Lehrer für Geschichte und Englisch ist.

Mehrheitsmeinung? Pro-amerikanisch? In Deutschland? In der Opposition ist es immer dann am schönsten, wenn alle in der Opposition sind. Und Moore sagt seinem Publikum das, was es sowieso schon denkt. Aber er weiß es vermutlich nicht. Es ist nicht besonders wahrscheinlich, dass er recherchiert hat, dass in Deutschland eine ganze Generation politischer Kabarettisten damit wohlhabend geworden ist, dass sie „Kohl“ gesagt haben und alle das lustig fanden. Oder dass er sich dessen bewusst ist, dass er hier eigentlich die Art Sozialdemokratie verkauft, die eine Menge Leute vermissen, weil damals alles so schön einfach war: „Wenn es nur um Profit geht, warum verkauft General Motors dann kein Crack?“ Das ist Balsam für diejenigen, die sich im eigenen Land mangels Alternativen nur noch mit Ursula Engelen-Kefer oder Frank Bsirske identifizieren könnten. Mütze hoch, Mütze runter. Yes Sir.

In den USA ist das anders, weil Moore sich da langsam gegen ernsthafte Gegner hochgekämpft hat und nun eine wirkliche Gegenströmung bündelt und ihr eine Stimme gibt. Er selbst sagt, dass Bush nur ein Zwischenschritt ist, der erledigt werden muss, bevor er sich wieder seinem eigentlichen Gegner, den großen Konzernen, zuwenden kann. Aber hat sich in Deutschland eigentlich seinerzeit irgendwer für „Roger and me“ interessiert? Den Film, der besser ist als „Bowling for Columbine“, weil Moore hier richtig nah dran ist und mit kalter Wut dokumentiert, wie General Motors seine Geburtsstadt im Lauf weniger Jahre vom Musterbild des amerikanischen Traums zum Ghetto verkommen lässt?

„Wie hätte Bin Laden diese Anschläge organisieren sollen, auf der Flucht in Afghanistan, mit einem Dialysegerät, das er an den Schläuchen hinter sich her zog?“ Mütze hoch, Mütze runter. Yes Sir. Der Jubel geht weiter. Aber das Ende ist schon absehbar: Irgendwann werden die USA nämlich wieder einen Präsidenten haben, der so knuffig ist wie Bill Clinton, alle werden wieder optimistisch sein, weil es wieder Zeit dafür ist und wenn Moore dann immer noch nicht Ruhe gibt, wird er den Leuten nur noch auf die Nerven gehen.

Schon jetzt haben die Jungredakteure in den Feuilletons angefangen, Moore herunterzuschreiben. Er fängt an, sie zu langweilen. Die Pointen sind immer noch die gleichen, man hat jetzt langsam genug Bilder von Kamerateams gesehen hat, die in Eingangshallen abgewimmelt werden und nichts ist so alt wie der Hype vom letzten Jahr.

Das wird dem Mann wehtun, wenn es soweit ist, weil er den Zuspruch erkennbar genießt und einiges dafür tut, um ihn sich zu erhalten. Einen letzten großen Höhepunkt wird es im nächsten Jahr geben, wenn rechtzeitig zum Präsidentschafts-Wahlkampf „Fahrenheit 911“ in die Kinos kommen wird, „die Temperatur, bei der Wahrheit anfängt zu brennen“. Wenn Bush bis dahin sein Irak-Problem nicht gelöst hat, stehen die Chancen gut, dass Moore zu den Siegern gehören wird. Aber das war es dann auch.

Keine Mütze mehr. War alles sowieso nur ein Missverständnis.


 

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