Legal, illegal, club-egal

Die illegale Clubszene ist einer der größten Berliner Mythen. Für die Betreiber ist das Versteckspiel oft reines Marketing.

"Eigentlich war es lustig", meint einer, der vor zwei Jahren dabei war am letzten Abend an der Oranienburger Straße. "Plötzlich war alles voller Polizei. Die Leute hinter der Theke haben ganz schnell ihre Sachen weggepackt - auf einmal gab es nur noch Gäste, kein Personal mehr."

Einen Hauch weniger amüsant war das Ende der Party im Telegraphenamt allerdings für diejenigen, die den Mietvertrag unterschrieben hatten. Denn trotz langer Schlangen vor dem Eingang und Türsteher im Smoking: Die erforderliche Erlaubnis für eine "Gaststätte mit regelmäßigen Musikvorführungen", wie es im Behördendeutsch heißt, konnte keiner der Betreiber vorlegen - Laden dicht, Gerichtsverfahren und Bußgeld, vorläufiges Ende der Geschichte.

Auch in letzter Zeit ist wieder einiges los in Mitte - Polizei und Gewerbeaufsicht haben so gut zu tun, dass aus der Clubszene wieder ein Medienthema wurde. Denn allen Widrigkeiten zum Trotz: "Illegal" ist immer noch eins der Schlüsselworte, wenn Szenesucher beschreiben, was das Nachtleben im Berliner Zentrum von dem in Frankfurt, Köln oder München unterscheidet: Leere Räume, Ideen, Spontanität, wenig Geld und in der Regel eine irgendwie ranzige, zwischengenutzte Atmosphäre. Das Konzept funktioniert auch im Jahr 2004 in allen Darreichungsformen. Ob altes DDR-Freizeitheim, Abbruchhaus, Lagerhalle, leeres Ladenlokal, 50-Quadratmeter-Ramschkneipe oder veritabler Club mit Profi-Einbauten oder Material aus dem Messebau - halt das, was gerade zur Verfügung steht.

"An den Toiletten kannst Du sehen, ob jemand konzessioniert ist oder nicht", meint T. Torpedo dazu lakonisch. Er trägt Tolle, Ray-Ban-Pilotenbrille und ein enges schwarzes T-Shirt über erwähnenswerter Arm- und Brustmuskulatur. "Keiner ist wirklich illegal", meint er. "Aber jeder ist angreifbar." Er selbst führt einen Verein zur Förderung der Cowboykultur. Anfangs zusammen mit einem Freund, dann gab es Streit, jetzt hat er einen neuen Partner. Die Sitzungen finden jeweils freitags und samstags statt und die Hürden für die Aufnahme sind zu bewältigen.

DJs legen an solchen Abenden Sixties-Beat und Country auf. An die Wand werden Cowboyfilme und Verfolgungsjagden aus alten amerikanischen Filmen projiziert, in denen in der Regel ein PKW des Typs Dodge Charger eine der Hauptrollen spielt. Manchmal spielen auch Bands oder seltene Western werden gezeigt. Auf die Musik sei er gekommen, als er noch LKW gefahren ist, erzählt Torpedo, und auf den Verein vor allem deshalb, weil auch in der großen Stadt kein Ort existierte, der seine Art von Saloon-Kultur im Angebot hatte.

Außerdem hat das Vereinsmodell noch einen weiteren Vorteil: Es hält den Aufwand schlank. "Wenn Du eine richtige Bar führst, brauchst für jeden Mist eine Lizenz", meint Torpedo: "Eine Lizenz für die Getränke, eine Lizenz für die Musik, eine Lizenz dafür, dass Leute tanzen dürfen…". Dazu kommen noch Baugenehmigung, Schulung bei der IHK, Führungszeugnis und noch einiges mehr - eine Menge Aufwand, wenn man nur mit dem erweiterten Freundeskreis trinken und Musik hören möchte. Allerdings stand auch bei den Sitzungen der Freunde der Cowboykultur schon öfters die Polizei vor der Tür, weil sich ein Nachbar über die Musik aus dem ehemaligen Lagerraum beschwert hatte. Zusammen mit einem Architekten arbeitet Torpedo daher gerade daran, die Voraussetzungen zu erfüllen, die nötig sind, um das Vereinsheim lizensiert zu bekommen. Die Bauarbeiten laufen, eine vorläufige Duldung gibt es bereits.

"Ein anarchistischer Abenteuerspielplatz", kommentiert derweil Till seine eigene Vergangenheit. Der Mittdreißiger mit den blonden Haaren sitzt in einem Café am Zionskirchplatz, das ihm zum Teil gehört - Deko in Gelb und Orange, Mitte-Publikum, zischende Espresso-Maschine und Jackie-Brown-Soundtrack im Hintergrund. Den süddeutschen Akzent ist er auch in fünfzehn Jahren Berlin nicht komplett losgeworden. Er ergänzt: "Je mehr alles beworben wird, desto attraktiver sind Orte, die nur für Eingeweihte existieren." Wenn er heute noch in dem Gewerbe aktiv wäre, meint er, würde er alles unternehmen, um seinen Laden aus Zeitungen und Stadtmagazinen herauszuhalten.

Allerdings liegen seine Aktivitäten auf dem Gebiet schon Jahre zurück. Nur um Rat gefragt wird er als eine Art Elder-Statesman immer noch gelegentlich. Etwa wenn es darum geht, wie man für seine Idee zumindest irgendein Stück Papier in die Hand bekommt, mit dem man seine Existenz legitimieren kann, falls Polizei oder Gewerbeamt zu Besuch kommen. "Damals nach der Wende gab es viele Orte, bei denen das Eigentum nicht geklärt war, bis Mitte der Neunziger hatten wir noch nicht mal Telefon", erinnert er sich. "Die Behörden waren genauso verunsichert - da hat es gereicht, hinzugehen und zu sagen, man wolle irgendwas mit Kunst machen." Tresor, E-Werk, WMF - viele inzwischen längst etablierte Namen tauchten in dieser Zeit zum ersten Mal auf. Wer lange genug durchhielt und sich professionalisierte, hatte in der Regel irgendwann das nötige Geld zusammen, um die Seiten zu wechseln und legal zu werden.

Doch die Zeiten sind härter geworden seit damals: Leerstehende Räume findet man nicht mehr an jeder Ecke und wo früher in den alten Ladenlokalen das wilde Lebens tobte, wird längst Häuserzeile für Häuserzeile von Bauträgern aufgehübscht und als Eigentumswohnungen verkauft. Rund um den Helmholtzplatz ist der Prozess in vollem Gange, am Arkonaplatz schon fast abgeschlossen - und nicht selten sind die Käufer Leute, die von der bunten Atmosphäre angezogen wurden. Dass vor noch gar nicht so langer Zeit am Bahnhof Friedrichstraße gefeiert wurde - unvorstellbar.

Dabei ist "illegal" weniger die Umschreibung einer Rechtsform, sondern eher die einer Ästhetik. In billigen Räumen werden neue Ideen ausprobiert. Kunst, Musik, Mode und Design gehen eine Symbiose ein - eine Form von Avantgarde entsteht. Wenn das ganze genug Interesse erregt, können irgendwann einige damit Geld verdienen und ziehen wiederum andere an, die rein aus kommerziellen Gründen dabei sind - am Ende stehen Werbeagenturen, Lifestyle- und Medienbranche, die kommen, um von dem kreativen Potential zu profitieren. Oft mit der Folge, dass für die Leute vom Anfang umziehen müssen.

"Die Mitte-Szene hat einen starken Abstrahleffekt auf alle Metropolen Europas und dadurch natürlich auch auf die Ansprüche der Kunden", beschreibt Nils Schubert. Seine Agentur Schubert und Schubert arbeitet hat Kunden vom Modelabel Tom Tailor bis hin zur Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, zeichnet aber zum Beispiel auch für die Image-PR der Lola Lounge verantwortlich. "Als wir vor fast sechs Jahren nach Mitte kamen, war die Brunnenstrasse noch ein fast verträumter Ort", fährt er fort. "Richtig down to Mitte - darum haben wir diesen Ort gewählt."

Beispiele für die Entwicklung sind Orte wie die X-Box-Lounge, die bis Ende Januar im ehemaligen Kaufhaus Jandorf an der Brunnenstraße eingerichtet war: alte Industriearchitektur, nur auf Zeit geplant, authentisches Design, aber eigentlich nur dazu da, um die gleichnamige Spielekonsole in den Markt zu drücken, in der Hoffnung, so Zugriff auf eine Zielgruppe zu bekommen, die man als Trendsetter identifiziert zu haben glaubte.

Überhaupt arbeiten die wenigsten Veranstalter um des Kicks wegen ohne saubere Papiere. Dass es böse nach hinten losgehen könnte, wenn in einem der Läden jemand zu Schaden käme, weil die Notausgangstüren nicht funktionieren, ist eigentlich jedem klar. Wer allerdings kein Geld in der Hinterhand hat, für den zeichnet sich der Bezirk Mitte durch eine ausgesprochen humorlose Genehmigungspraxis aus, was Kneipen und Clubs angeht: "In der Abteilung Stadtentwicklung existiert die Tendenz, alles, was nicht ,Gaststätte ohne besondere Eigentümlichkeiten ist', automatisch als Vergnügungsstätte zu betrachten", erklärt Wirtschaftsstadtrat Dirk Lamprecht und man ahnt, dass auch Behörden sich untereinander nicht unbedingt mögen müssen. Das heißt: In Teilen des Bezirks, die als Wohn- oder Mischgebiet ausgewiesen sind, ist außer der klassischen Eckkneipe praktisch nichts genehmigungsfähig ist. Dass nicht überall, wo ein DJ steht, eine Großraumdiskothek existieren muss, scheint schwer vermittelbar zu sein. Diese Praxis betrifft sogar Ecken wie die Spandauer Vorstadt, die als reines Wohngebiet eingestuft ist, obwohl sie von Touristen überlaufen wird und durch einen Straßenbahnwendepunkt nicht unbedingt als leise zu bezeichnen ist.

Mark, Tim und ihre drei Partner haben deshalb etwas geschafft, das nach Bebauungsplan und gängiger Verwaltungspraxis eigentlich überhaupt nicht möglich ist: Für das "Rio", ihren Club an der Chausseestraße, haben sie eine zunächst dreimonatige Duldung erhalten. "Wie für ein Bierzelt", erklärt Mark, der wie die anderen an der UdK für Architektur studiert.

Irgendwann hatten die fünf schon einmal Glück gehabt und waren auf etwas gestoßen, was es auch schon nicht mehr hätte geben dürfen: Ein komplett leeres Hinterhaus am nördlichen Ende von Mitte, gleich da, wo in ein paar Jahren der Bundesnachrichtendienst einziehen will. "Das war vorher als illegales Asylbewerberheim genutzt worden", erinnert sich Tim, der wie sein Kompagnon leicht übernächtigt aussieht, obwohl das Treffen am frühen Abend stattfindet. "Der damalige Besitzer sitzt heute im Gefängnis - wir haben noch an allen Ecken seine Razzia-Warnungen gefunden."

Mit dem neuen Eigner konnte man sich auf eine jederzeit kündbare Zwischennutzung einigen und nach drei Wochen Arbeit war man soweit, dass man ein paar Leuten Bescheid sagen und in einem Raum die erste Party feiern konnte. Zügig wurden es dann ein paar Gäste mehr - und irgendwann, wie das genau kam, können die beiden auch nicht so richtig erklären, hatte man einen der spannendsten Plätze der Stadt an den Hacken. Chicks on Speed und Franz Ferdinand drehten hier Videos, es gab Mode-Shootings, große Namen kamen zu improvisierten DJ-Sets und längst gab es nicht mehr nur den einen Raum vom Anfang, sondern verschiedene Bereiche - Treppe hoch und Treppe runter, links und rechts des Eingangs und die Flure entlang sind fast schon Indiana-Jones-mäßige Entdeckungstouren möglich. Inzwischen gehen in guten Nächten um die tausend Menschen an den Türstehern vorbei.

Der glamouröse Spagat zwischen Hörsaalbank und dem Leben als Blümchentapeten-Party-Impresario nimmt allerdings in den Erzählungen der beiden noch den geringsten Teil ein. Der größte Teil der Geschichten beschäftigt sich mit behindertengerechten Dixi-Klos, verschobenen Bauabnahmen, Veranstaltungen, die deswegen geplatzt sind, immer neuen Auflagen, dass eigentlich immer irgendein Ansprechpartner Urlaub hat und dass sich auch nach 15 Jahren niemand in der Verwaltung für die Clubs zuständig fühlt - auch wenn Berlin das damit verbundene Image gerne nach außen kehrt.

"Als ich den Antrag auf eine Gaststättenerlaubnis gestellt habe, hat mich die Sachbearbeiterin erstmal ausgelacht und gefragt, ob ich das wirklich tun will", erinnert sich Tim. "Wir haben das dann richtig aufgeteilt. Einer war zuständig für Umweltrecht, einer für wirtschaftliche Auflagen, einer für bauliche Maßnahmen und so weiter." Den Durchbruch brachte allerdings erst ein Spiel über Bande. Die Rio-Macher holten sich Unterstützung aus der etablierten Kulturszene: "Wir haben Institutionen wie das Deutsche Theater, den Hamburger Bahnhof oder Arte angesprochen und sie gebeten, uns etwas zu schreiben. Als die Stadtentwicklungsdezernentin dann das Material gesehen hat, hat sie ihre Leute angewiesen, für uns etwas möglich zu machen."

Drei Monate hat der Club jetzt Schonfrist - und was danach kommt, wissen die beiden auch nicht so genau: "Ich weiß nicht, ob wir das noch ein zweites Mal schaffen", meint Tim im Rückblick auf den Genehmigungs-Wirrwarr, um leicht melancholisch hinzuzufügen: "Irgendwie ist es ein Job geworden."

Auch Till vom Zionskirchplatz ist durch mit dem Thema: "Irgendwann ist man aus dem Alter raus, in dem man im Kohlenkeller lauwarmes Bier trinken will". Und T. Torpedo? Der hat zumindest seinen Nachbarn dazu bekommen, nicht mehr die Polizei zu rufen. "Wir haben ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte", beschreibt er die Lösung.

 

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