Freedom and Landluft

Wie ein paar Messdiener das beste deutsche Open Air schafften

Eigentlich dürfte es so etwas wie das Haldern-Festival gar nicht geben. Das Dorf liegt gut versteckt in der hintersten Ecke des Niederrheins, die nächste Autobahn ist zwölf Kilometer weit weg und wer Bahn fahren will, kommt mit dem Bummelzug auf dem Weg an Metropolen wie Friedrichsfeld und Meerhog vorbei.

Der Zuschauerbereich auf der Wiese würde bei „Rock am Ring“ vermutlich noch nicht mal als Eingangsschleuse reichen und nach dem 5000. Besucher ist definitiv Schluss am Einlass. Dazu liegt das ganze in einer Ecke, in der auch mitten im Hochsommer jederzeit die Chance auf einen ergiebigen Regenschauer besteht, der Festivalgelände und Zeltplätze binnen kürzester Zeit in Sumpflandschaften schottischer Dimension verwandeln kann.

Aber trotzdem: Bob Geldof hat hier gespielt, Supergrass, Fischer Z, James, die Hooters und von den Deutschen sowieso fast alles, was Rang und Stil hat: Tocotronic, Blumfeld, die Guano Apes, die damals fast unbekannten Sportfreunde Stiller zusammen mit Readymade in den Mittagsstunden in einem winzigen Zelt. Element of Crime sind seit 1988 alle drei vier Jahre mal wieder mit dabei und bringen inzwischen Frauen und Kinder mit, weil hinter der Bühne immer Platz für gepflegtes Abhängen und ein kleines Fußballspiel ist.

An einem Ort wie Haldern würde sich vermutlich kein etablierter Konzertveranstalter die Finger an der Ackerkrume schmutzig machen. Eine Tatsache, die Anfang der Achtziger Jahre auch den Messdienern der örtlichen Kirchengemeinde bewusst wurde. Aber anstatt weiter von Patti Smith und den Stranglers zu träumen und nach dem Schulabschluss das Weite zu suchen, beschlossen sie, lieber selbst zur Tat zu schreiten.

Drei Jahre lang gab es Open-Air-Parties mit Musik vom Traktor-Anhänger, bis das Konzept an seine Grenzen stieß und man Geld brauchte, um die ersten Live-Bands einladen zu können. Was folgte, war eine Aktion, die so wohl nur auf dem Dorf funktionieren konnte. Die Messdiener luden Freunde und Nachbarn ins Jugendzentrum ein und machten ihnen ein unschlagbares Angebot: Ein langes Wochenende umsonst arbeiten plus 500 Mark Einlage für die Kosten - und wenn sich die Sache nicht trägt, ist das Geld nachher weg. Immerhin knapp 60 Unterstützer ließen sich ködern – Haldern-Pop war geboren.

„Es ist toll, dass man die kleinste Idee so weit stricken kann, dass die Sache heute noch läuft“, blickt Stefan Reichmann zurück. Er war Messdiener, ist der letzte der Gründer und seitdem für das Booking des Festivals zuständig. Die Entscheidungen fallen annähernd basisdemokratisch, die Arbeit machen nach wie vor die inzwischen rund 130 Mitglieder der „Raum 3 GbR“ – „Raum 3“ übrigens deshalb, weil das die Nummer des Saals im Jugendzentrum war, in dem damals die Versammlung stattfand.

Vielleicht entstehen dadurch auch die Kleinigkeiten, die Haldern so besonders machen: Die handgemalten Wegweiser, die einen von der Autobahn zum Festivalgelände leiten, die entspannte Atmosphäre auf dem Gelände, wo man nach wie vor auf anabolika-gestählte Securities verzichten kann und überhaupt die Tatsache, dass alles ein bisschen geruhsamer und weniger auf Effizienz getrimmt abläuft als anderswo. Irgendwie ein absoluter Anachronismus - ein nettes Wochenende auf dem Land eben.

Auch das offiziell nicht zum Baden freigegebene Trinkwasser-Reservoir hinter dem Gelände ist nicht zu verachten. Und nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass sich die Verantwortlichen beim Booking über die Jahre als veritable Talentscouts entpuppten: Die Heroes del Silencio waren hier, bevor sie in die Charts kamen, Roachford ebenso und bis heute gehört es zum Prinzip, dass neben drei oder vier Headlinern immer eine Fülle von Namen im Line-Up stehen, von denen Otto-Normal-Konsument noch nie etwas gehört hat und die trotzdem in der Lage sind, die Wiese in ihren Bann zu ziehen. Auffällig ist dabei stets der hohe Anteil an skandinavischen, niederländischen und belgischen Bands – ein Part, der in diesem Jahr unter anderem von dem norwegischen Kaizers Orchestra erfüllt wird, die mit ihrem Sound zwischen Punk und Emir Kusturica im Norden zu den erfolgreichsten Acts gehören, während sich in Deutschland noch nicht mal eine Platte von ihnen kaufen lässt. Dazu kommen als Headliner die Cardigans, Evan Dando, das Frank-Popp-Ensemble und Patti Smith, mit der sich Reichmann einen mehr als 20-jährigen Traum erfüllt hat.

Man werde hier nie Radiohead zu sehen bekommen, aber vielleicht die Band, die die Radiohead von morgen werden könnte, hat Klaus Fiehe das Festival mal beschrieben und Element-of-Crime-Sänger Sven Regener hat gerade für die Spex eine wahre Eloge über Haldern verfasst. „Das allein war die 20 Jahre Arbeit wert“, meint Reichmann dazu, und: „Es ist unglaublich, dass wir als kleiner Kaninchenköttel noch da sind“. Der Spirit of Freedom and Landluft eben.

 

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