Wallenstein revisited

Wissen Sie noch, was Wallenstein war? Nein, nicht der Feldherr und Dramenheld, sondern ein Bandprojekt, das es binnen gut zehn Jahren auf neun LP-Veröffentlichungen, unzählige Konzerte sowie einige veritable Hits brachte und dabei musikalisch eine erstaunliche Entwicklung nahm.

Ende der Sechziger ging es los. Die Haare waren lang, die Zeiten wild und die Musikszene um einiges experimenteller als heutzutage. Und spontaner, erinnert sich Jürgen Dollase, der als einziger die komplette Wallenstein-Zeit erlebte: "Ich fuhr nach Hannover, weil ich einen Schlagzeuger treffen wollte. Der war aber nicht da - dafür traf ich Harald Grosskopf. Der fuhr mit nach Viersen und blieb einfach da." Den amerikanischen Gitarristen Bill Barone trieb ein Band-Roadie in London auf und köderte ihn mit einer Gratis-Fahrt nach Deutschland.

Die erste Wallenstein-Besetzung mündete 1971 in der LP "Blitzkrieg" - so hatte eigentlich schon die Band heißen sollen, der Name war jedoch schon vergeben. Das erste Konzert fand in der Mönchengladbacher Kaiser-Friedrich-Halle statt. "Monumental" und "für kommerzielle Geschmäcker schwer verdaulich" konstatiert heute das German-Rock-Lexikon. Will heißen: Wallenstein kombinierten Dollases klassischen Klavier-Background mit wallenden Sounds, wilden Gitarrenimprovisationen und trafen damit genau den Nerv der Zeit. Rund 150 000 Exemplare der ersten Langspielplatte wurden im Lauf der Zeit abgesetzt, fast ohne Presse und Werbung. Es folgten ausgedehnte Konzertreisen in Deutschland und Frankreich, wo der Wallenstein-Sound ebenfalls auf viel Resonanz stieß.

Gebeutelt wurden die Bandmitglieder allerdings von permanenten Geldschwierigkeiten und einem in reger Bewegung befindlichen Personalkarussell - was wohl nicht zuletzt am Führungsanspruch des Masterminds Dollase lag. Um eine neue Facette erweitert wurde der Sound durch das Violinenspiel von Joachim Reiser, etwas später kam Nicky Gebhard als neuer Schlagzeuger dazu: "Das war erste Liga damals, eine der zehn besten Adressen in Deutschland", erinnert sich der heute 53-Jährige an Konzerte mit den Scorpions, mit denen man sich den Produzenten teilte oder mit dem Deep-Purple-Gitarristen Richie Blackmore: "Wir haben in seine Garderobe geguckt. Da stand ein Altar an Alkoholika aufgebaut, aber er hat ein Riesentheater gemacht, weil der Wodka fehlte. Weil Sonntag war, haben die Veranstalter im teuersten Hotel eine aufgetrieben - Blackmoore hat sie in den Garderobenspiegel gefeuert".

Der Sound war inzwischen rockiger und gerader geworden und Wallenstein waren an der Spitze angekommen. Geld verdienten zumindest die meisten Bandmitglieder allerdings immer noch nicht und auch das seltsame Binnenverhältnis war weiter Thema. Dollase beschreibt: "Das war ausschließlich mein Projekt. Ich hatte auch nie viel privaten Kontakt zu den Musikern", während Gebhard heute zugibt, dass die Wallenstein-Jahre zwar eine extrem lehrreiche Zeit bedeuteten, dass er aber eigentlich lieber in einer Band wie Kraan gespielt hätte, deren Strukturen weniger starr waren als die seiner eigenen Gruppe.

1978 kam dann die große Zäsur. Ob die Band von sich aus ging oder ob die Musiker von Dollase ausgetauscht wurden, dazu gibt es heute unterschiedliche Versionen. Tatsache ist jedoch, dass unter dem Namen "Wallenstein" auf einmal völlig andere Gesichter auftauchten, vom Initiator einmal abgesehen. Das Schlagzeug bediente nun der spätere Westernhagen-Schlagzeuger Charly Terstappen, Sänger Kim Merz wurde per Audition gefunden. Auch musikalisch hatten die neuen Wallenstein mit den alten kaum noch etwas gemein: Auf der Höhe der Zeit spielte man nun ziemlich glatten Disco-Pop. "Warum wir das gemacht haben? Wahrscheinlich wollten wir auch mal Geld verdienen", meint Dollase dazu lakonisch. "Die alten Fans fanden es zwar nicht gut. Aber wenn beim Konzert die ganze Westfalenhalle tobt und man vier Zugaben spielt, dann finde ich das schon lustig." Und nicht zuletzt: Der Zulauf an neuen Fans brachte endlich Geld ins Haus: Man spielte im WDR-Rockpalast, bei Ilja Richters Disco, beim frühen Thomas Gottschalk und landete mit "Charline" einen veritablen Single-Hit, dem drei erfolgreiche Alben folgten.

Das Ende der Band markierte dann schließlich Anfang der Achtziger der Einbruch der Neuen Deutschen Welle - englische Texte waren nicht mehr angesagt und ein deutschsprachiger Album-Versuch wurde erst gar nicht mehr veröffentlicht. "Wir haben uns nie offiziell aufgelöst", erinnert sich Dollase. "Aber irgendwann hatten wir einfach keine Termine mehr. Die Plattenfirma wollte uns loswerden und nach mehr als zehn Jahren war ich einfach ausgelaugt."

Von den insgesamt 15 Mitgliedern, die die Band im Lauf der Zeit gehabt hatte, gingen jedoch viele ihre eigenen, höchst unterschiedlichen, musikalischen Wege: Ein Teil der letzten Besetzung gründete in Mönchengladbach mit "Twelve Drummers Drumming" eine weitere Band, die in den Achtzigern von sich hören machte, Bassist Kurt Schmidt kam noch viel später auch mit "Sun" vom Niederrhein aus die deutschen Charts. Kim Merz startete eine Solo-Karriere und schrieb unter anderem für Wolfgang Petry dessen Hit "Wahnsinn", Bassist Jürgen Pluta tauchte mit "Da Hool" erfolgreich im Techno wieder auf. Joachim Reiser unterrichtet an der Mönchengladbacher Musikschule und Nicky Gebhard hat sich am gleichen Ort mit dem Groove Institute seine eigene private Schule aufgebaut. Nebenbei spielt er mit den Wallensteinern Gerd Klöcker bei Gee Fresh und Pete Brough bei Pinball. Als "Sprungbrett" sieht er die Zeit in den Siebzigern heute. "Ich habe musikalisch viel mitgenommen."

Nur einer hat sich wohl endgültig von der Musik verabschiedet: Jürgen Dollase, der sich zu Wallensteins Zeiten vor allem von Schnitzel mit Pommes ernährte, ist heute einer der profiliertesten deutschen Restaurantkritiker. Als der WDR-Rockpalast vor kurzem verdiente Bands der Siebziger zu Reunion-Konzerten einlud, fand sich aus dem Wallenstein-Fundus niemand, der eine Wiedervereinigung hätte organisieren wollen.

 

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