Drahtlos glücklich

Wireless LAN bringt den Rechner schnurlos ins Internet - allerdings bei weitem nicht überall.

In der Werbung sieht das ganze schon richtig klasse aus. Notebook eingepackt, raus aus dem Büromief und ab in die Sonne. E-Mails checken im Freibad, Konzepte schreiben im Park, Online-Recherche im Biergarten – und das alles ohne die fummelige, langsame und teure Mobilfunk-Internet-Verbindung früherer Zeiten.

Ganz so weit sind wir in der Realität noch nicht, denn drahtloses Surfen ist bisher nur an bestimmten Punkten möglich. Aber das Netz wächst - Wireless LAN ist gerade dabei, sich vom Statussymbol für Technik-Freaks und notorisch Wichtige zum Massengut zu entwickeln. Von der Berlikomm-Tochter Berlinnet bis zu T-Online betreiben die meisten lokalen Telefon- und Internetanbieter inzwischen einige so genannte „Access Points“, Stellen also, an denen kleine lokale Funknetze dafür sorgen, dass jedermann der im Besitz der nötigen Technik ist, drahtlos online gehen kann. Die Preise dafür sind moderat: 24,90 Euro verlangt etwa Berlinnet für 10 Stunden Onlinezeit, die sich per Prepaid-Karte häppchenweise absurfen lassen. Notebooks der neuesten Generation sind oft schon ab Werk WLAN-fähig, ältere Modelle lassen sich mit einer entsprechenden Karte nachrüsten, die für rund 50 Euro zu haben ist.

Bleibt natürlich die Frage: Braucht man so was? Das muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Aber Spaß macht es schon, am Hackeschen Markt oder am Brandenburger Tor einfach den Rechner auszupacken und online zu gehen. Die Geschwindigkeit ist dabei aller Ehren wert: Elf Megabit pro Sekunde gehen nach aktuellen Standard, der kommende, der sogar 54 Megabit bieten soll, steht schon in den Startlöchern. Zum Vergleich: Ein konventioneller DSL-Anschluss bietet nur 768 Kilobit, also ungefähr ein Dreizehntel der aktuellen WLAN-Geschwindigkeit.

Auch die Morena Bar in der Wiener Straße ist seit einiger Zeit drahtlos vernetzt. Die Bar bietet den Service für seine Gäste kostenlos an - an einem willkürlich ausgewählten warmen Donnerstagabend stehen nicht weniger als fünf Computer auf dem Kneipentisch. So viele, dass es fast schon ein bisschen unkommunikativ wirkt. „Fast schon zuviel“, findet auch Michael Hunger, der die Bar ins Netz gebracht hat. Zum einen geht die Leitung in die Knie, wenn sich zu viele Nutzer das Netzwerk teilen und zum zweiten macht sich irgendwann eine gewisse Internet-Café-Atmosphäre breit.

Unser Selbstversuch vor dem Morena scheitert jedoch glorreich: Trotz vier Stunden Fummelei, diverser Biere, unzähliger Neustarts und professioneller Hilfe im Hintergrund lässt sich der prähistorische Laptop nicht dazu überreden, Kontakt mit dem Funknetz aufzunehmen – wahrscheinlich deshalb, weil bei der Entwicklung von Windows 98 noch niemand daran dachte, dass jemand auf die Idee kommen könnte, via Mikrowelle ins Netz zu gehen. Mit moderner Technik und Windows XP soll es dagegen quasi auf Knopfdruck funktionieren. „Achtzig Prozent der Leute haben keine Probleme“, meint Hunger und auch die Erfahrungsberichte anderer User zielen in diese Richtung.

Entwickelt wurde WLAN ursprünglich dazu, um große Firmennetzwerke betreiben zu können, ohne dass bei jedem Büroumzug neue Kabel gezogen werden müssen. Rechner oder Netzwerkdrucker samt Funkkarte hinstellen, einbuchen, fertig. Doch hier liegt auch das große Sicherheitsrisiko der Technologie: Ab Werk sind solche Firmennetze nämlich wirklich kinderleicht erreichbar – und zwar auch für jeden, der draußen auf der Straße vorbeikommt. Das ganze ist dermaßen einfach, dass einige findige Computer-Schrauber schon ein Hobby daraus gemacht haben: „Wardriving“ nennt man so etwas. Notebook auf den Beifahrersitz, ein bisschen herumfahren und gucken, wo sich ein offenes Netz findet, über das sich auf das Internet oder auf Firmendaten zugreifen lässt.
Wardriver Curt möchte seinen richtigen Namen ungern in der Zeitung lesen. Aber seine Abschussbilanz ist aller Ehren wert: Ein großer Projektentwickler aus der Immobilienbranche, die Kundendaten einer Kopierladenkette, diverse Ärzte, Anwälte und Steuerberater und nicht zuletzt ein nicht ganz unbedeutendes Berliner Filmfestival. Nun macht „Curt“ nichts kaputt. Aber wundern tut er sich schon über so viel Leichtsinn: „Da stehst Du vor einer Arztpraxis am Gendarmenmarkt und wenn ein Patient zur Tür herauskommt, kannst Du sagen, welche Krankheit er hat.

So genannte „Sniffer“, kleine Programme, die während des Fahrens permanent die Funkfrequenz scannen und Netze abspeichern, sind im Internet problemlos verfügbar. „Curt“ rät daher allen Betreibern von Funknetzwerken, wenigstens die werksseitigen Verschlüsselungseinstellungen zu benutzen, um so ein Mindestmaß an Sicherheit zu erreichen. Zwar hat „Curt“ auch da so seine Mittel und Wege, aber zumindest die ganz plumpen Versuche lassen sich damit blocken. Wer es richtig sicher haben möchte, muss einen zusätzlichen Server vor den Funkempfänger anschließen, der als Türsteher, die Identitäten der Nutzer kontrolliert.

Eine ganz andere Vision verbindet dagegen Jürgen Neumann mit der Technologie: Der 36-Jährige träumt von freier Kommunikation, freiem Datenaustausch und freier Vernetzung überall in Berlin. Zurzeit ist Neumann dabei, Interessierte um sich zu scharen, in den nächsten Wochen sollen knapp hundert „Hot Spots“ in Betrieb gehen, von denen aus sich unbegrenzt ins freie Netz gehen lassen soll. Durch die hohe Datenübertragungsrate wäre unter den Teilnehmern vieles damit möglich: freies Radio, die Übertragung von Kulturevents und nicht zuletzt auch kostenlose Telefongespräche.

Dabei machen sich die Mitglieder der Initiative freifunk.net die Tatsache zunutze, dass die WLAN-Funkfrequenz 2,4 Gigahertz öffentlich zugänglich ist und kaum Restriktionen dafür bestehen: „Das ist die gleiche Wellenlänge, auf der die Zentralverriegelung von Deinem Auto sendet“, erklärt er. Und auch technisch könnte das freie Netz recht einfach realisiert werden: Die Technik zum Aufbau eines Hot Spots lässt sich für rund 200 Euro erwerben und an den eigenen PC andocken – und mit ein bisschen Bastelei und einer Antenne auf Hausdach oder Balkon sind ein bis zwei Kilometer Reichweite möglich, innerhalb derer jeder ohne Beschränkung auf das Netzwerk zugreifen kann.

In Städten wie London oder Madrid läuft so etwas bereits und auch hier treffen sich Interessierte an jedem ersten und dritten Mittwoch im Monat ab 20 Uhr in der C-Base, Rungestraße 20, in der Nähe der Jannowitzbrücke, um die Technik zu klären und das Netz voranzubringen. Neumanns Rechnung: So groß ist Berlin auch wieder nicht - und finden sich genug Leute, die bereit sind, Hot Spots aufzubauen, könnte das sozio-kulturelle Netz entstehen. Vom 12. bis zum 14. September lädt freifunk.net zur Summer Convention, wo neben diversen Bastel-Workshops und Erfahrungsberichten aus anderen Städten auch die Eröffnung des Berlin Backbone ansteht: Die Aktivisten haben diverse Berliner Kulturinstitutionen von Tacheles bis Kulturfabrik Moabit per Richtfunkstrecke zusammengeschaltet und damit über das freie Netz erreichbar gemacht. Als Eröffnungsevent gibt es Wagner: Ab 19 Uhr wird direkt aus der Staatsbank Berlin der dritte Akt der Walküre gestreamt.

Bleibt nur zu fragen, ob diejenigen, die mit dem WLAN Geld verdienen möchten, sich den Aufbau solcher kostenlosen Netze auf Dauer bieten lassen werden. Derweil denkt Wardriver „Curt“ über einen gangbaren Weg nach, wie er seine Opfer anonym darüber informieren kann, was sie der Welt so alles unbewusst zugänglich machen. Ein bisschen schlechtes Gewissen plant ihn angesichts der grenzenlosen Offenheit wohl doch.


 

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