Kleiner, kleiner, viel viel kleiner

Eindeutig kaputtrecherchiert: Die Redaktion, die den Text in Auftrag gab, ging wohl davon aus, dass bei Stefan Hecht süße, putzige und itzibitzikleine Nano-Roboter über den Tisch hoppeln. Leider macht der Mann Grundlagenforschung...

Sehen Sie sich die Buchstaben, aus denen dieser Text besteht, einmal ganz genau an, lieber Leser. Sie bestehen aus Punkten. Kleinen Punkten. Punkten, die das Auge kaum noch auflösen kann. Noch hunderttausendfach kleiner sind die Objekte, mit denen sich der Chemiker Stefan Hecht an der Freien Universität in Dahlem befasst. Sein Arbeitsgebiet sind die Nanowissenschaften - die Arbeit an Strukturen, deren Größe bei einem Zehntausendstel des Durchmessers eines Haares liegt.

Es herrscht ein gewisses Chaos, oben im dritten Stock des Campus der Freien Universität in Dahlem: Auf den Tischen der Labore stehen Glaskolben und Chemikalien quer durcheinander, Gummischläuche laufen von links nach rechts. Die Glasabdeckungen der Arbeitsplätze hat jemand mit Hilfe eines Eddings zu Notiztafeln umfunktioniert - und mittendrin liegt ein Fußball. "Unser Wasserstoffspeicher", meint Dr. Stefan Hecht dazu.

Trotz der eher hemdsärmeligen Anmutung und trotz der Tatsache, dass der Chemiker selbst noch problemlos als Student durchgehen würde: Zusammen mit seiner Arbeitsgruppe betreibt der 30-Jährige in Berlin internationale Spitzenforschung: Dokumentiert wurde das unter anderem durch das Massachusetts Institute of Technology, dessen Zeitschrift "Technology Review" den Wissenschaftler zu einem der hundert Top-Innovatoren weltweit kürte. "Wenn Du ein Haus bauen willst, dann nimmst Du Bausteine", erklärt der Wissenschaftler die Arbeit seines Teams, "und wenn Du ein kleineres Haus bauen willst, dann nimmst Du kleinere Bausteine. Irgendwann werden die Bausteine dann so winzig, dass Du sie nicht mehr konventionell herstellen kannst, sondern dass Du sie aus Teilchen aufbauen musst, die noch kleiner sind - aus Atomen oder Molekülen."

Die Forschung rund um die winzigen Strukturen ist eine der wissenschaftlichen Disziplinen, mit der sich für die Zukunft die größten Hoffnungen verbinden: Nano-Roboter könnten in der menschlichen Blutbahn Ablagerungen entfernen, Nano-Detektoren durch chemische Reaktionen selbst winzigste Mengen Sprengstoff entdecken, Nano-Computer auf kleinstem Raum mehr Schaltkreise enthalten, als es bei einem konventionell erzeugten Chip jemals möglich wäre. Immer mehr Visionen werden ins Spiel gebracht - rund um die Nanotechnologie hat sich ein regelrechter Hype entwickelt.

Der Wissenschaftler sieht das mit gemischten Gefühlen: "Auf der einen Seite ist das gut, weil dadurch Geld für die Forschung da ist. Aber das große Problem ist, dass die Leute auf schnelle Erfolge warten. Man muss aufpassen, dass nicht zu früh zu große Erwartungen geweckt werden." Hecht befürchtet, dass sich eine "Nano-Blase" bilden könnte, wie vor einigen Jahren bei der New Economy. Denn von der kommerziellen Verwertung sind die meisten Nano-Projekte noch sehr weit entfernt - eigentlich ist noch nicht einmal sicher, ob es die jemals geben wird: "Wir machen Grundlagenforschung", erläutert er. "Die Industrie interessiert sich nicht für uns - davon sind wir noch meilenweit entfernt."

Die vielleicht vielversprechendsten Nano-Bausteine sind die so genannten Kohlenstoff-Nanoröhren. Das sind extrem stabile Strukturen, denen sich viele unterschiedliche Eigenschaften anzüchten lassen, die man zum Beispiel als Leiter oder Halbleiter anlegen kann: "Es gibt sogar die Vision, dass man damit einen Fahrstuhl zum Mond bauen könnte", beschreibt Hecht - die Röhren sind zwar nur wenige Nanometer dick, aufgrund ihrer Molekularstruktur und Geometrie aber extrem stabil und reißfest. Auch als Wasserstoffspeicher für Brennstoffzellen könnten sich die Bauteile irgendwann einmal einsetzen lassen. Dazu skizziert Hecht die Idee, die winzigen Röhren als Gitter anzuordnen. Abhängig vom Stromfluss würden sich die Knotenpunkte berühren oder nicht - ein winziges digitales Speicherelement wäre geschaffen. Allerdings gilt es vorher, erst einmal in die Lage zu kommen, solche Nanoröhren-Bauteile ohne allzu viel Ausschuss herzustellen. Daran arbeitet Hechts Gruppe intensiv. Der Idealfall wäre es, dahin zu kommen, nicht mehr jede Röhre einzeln generieren zu müssen, sondern Techniken zu schaffen, mit denen sich etwa die kompletten Gitter erzeugen lassen.

Als Grundlagenforscher bekennt sich Hecht durchaus zu seinem Spieltrieb, der ihn Antworten suchen lässt, ohne dabei schon die kommerzielle Verwertung im Auge zu haben. In Dahlem wird außerdem noch an einer Art Nano-Schaltern gearbeitet - Elementen also, die zum Beispiel durch Lichteinfall leitend oder nichtleitend werden. Hier hat man sich an biologischen Vorbildern orientiert und modifiziert zum Beispiel Moleküle, die in der Natur bei der Photosynthese in Pflanzen oder beim Sauerstofftransport im menschlichen Blut helfen und versucht diese durch Modifikationen dazu zu bekommen, dass sie abhängig vom Lichteinfall leitend oder nicht leitend werden. "Die molekulare Elektronik ist sicher die Haupttriebkraft der Nano-Wissenschaft", kommentiert Hecht. "Aber gerade hier ist man vom praktischen Einsatz noch am weitesten weg."

Dass Hecht in Berlin arbeitet, hat erst einmal familiäre Gründe. Sowohl er als auch seine Frau sind hier aufgewachsen. Aber auch als Forschungsstandort schätzt er die Hauptstadt - vor allem die Tatsache, dass in sich in der Stadt viel Kompetenz finden lässt, die sich für die Nano-Wissenschaften nutzen lässt: "Mehr Förderung wäre zwingend erforderlich. Aber alles ist vor Ort und es gibt hier eine gute Vernetzung, auch viele außeruniversitäre Einrichtungen wie das Hahn-Meitner- oder das Fritz-Haber-Institut. Wenn ich eine Probe zu den Physikern gebe, damit die sie untersuchen können, dann bin ich dadurch in kürzester Zeit vor Ort und muss nicht erst lange auf Antwort warten."

In der Praxis führt das dazu, dass Arbeitsgruppen und Institute sehr spontan kooperieren, wenn die Situation es erfordert, beschreibt der Forscher: "Man geht einfach hin und will das Problem lösen. Das macht sehr schlagkräftig". Was die Zukunft seiner Disziplin angeht, ist ihm auch nicht bange: "Auf welchen Feldern genau, das lässt sich noch nicht genau absehen. Aber der wirtschaftliche Einfluss der Nanotechnologie wird in den nächsten Jahren immer mehr anwachsen."

 

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