Wer braucht denn Geisteswissenschaftler?

Wer mit einem Magister in der Tasche auf Jobsuche geht, muss flexibel sein.

Die gute Nachricht zuerst: So schlimm, wie man denken könnte, ist die Lage für Geisteswissenschaftler auf dem Arbeitsmarkt nicht: "Die Berufschancen sind nicht so gut wie die von Wirtschaftsingenieuren", beschreibt Karl-Heinz Minks von der Hochschul-Informations-System-GmbH. "Aber gemessen an den gängigen Vorurteilen sieht es alles andere als schlecht aus. Germanisten oder Historiker müssen nach ihrer Ausbildung nicht Taxi fahren oder Pizza ausliefern."

Im Auftrag des Wissenschaftsrats befragt die Gesellschaft regelmäßig Geisteswissenschaftler ein Jahr nach deren Studienende danach, ob und wo sie im Arbeitsleben angekommen sind. Vor zwei Monaten ist die neueste Studie fertig geworden. Das Ergebnis:55 Prozent der Absolventen haben eine feste Arbeit, zehn Prozent jobben, 12 Prozent befinden sich weiterhin in Aus- oder Fortbildung, knapp zehn Prozent halten sich mit Werkverträgen oder Auftragstätigkeiten über Wasser. Im Vergleich mit anderen Fachdisziplinen schneiden Philosophen, Sprach- und Kulturwissenschaftler damit gar nicht so schlecht ab: Von allen Hochschulabsolventen sind ein Jahr nach dem Abschluss lediglich 52 Prozent in fester Beschäftigung.

Trotzdem zieht sich der Berufseinstieg bei Geisteswissenschaftlern nach den Erkenntnissen des HIS länger hin als bei anderen Akademikern. Und auch die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung konstatiert in einer aktuellen Studie, bei vielen Bewerbern finde sich oft "das typische Patchwork-Muster aus Projektarbeit, befristeten Beschäftigungsverhältnissen und freier Mitarbeit." Probleme liegen dabei vor allem darin, dass das Jobprofil bei Magister-Studenten um vieles unschärfer definiert ist als etwa bei Ingenieuren oder Betriebswirten. Außerdem lassen sich in den klassischen Betätigungsfeldern Medien, Verlagswesen oder Kulturarbeit nur noch wenige freie Stellen finden - von der Perspektive einer wissenschaftlichen Karriere erst gar nicht zu reden.

Was also tun? "Für nicht wenige erscheint es zunächst als Zufallsjob, was sie nach dem Studium machen", kommentiert Minks die Ergebnisse seiner Untersuchungen. Will sagen, überdurchschnittlich oft bleiben Geisteswissenschaftler der Branche treu, in der sie schon während des Studiums zum Geldverdienen gejobbt oder Praktika absolviert haben. Und genau das ist es auch, was Experten raten. "Gesicht zeigen", meint der Mann vom HIS. Denn auch in der klassischen Wirtschaft sind Magister-Studenten nicht chancenlos: Berührungsängste bei den Arbeitgebern gehen zurück, in vielen Unternehmen schätzt man die Qualifikationen, die Geisteswissenschaftler in stärkerem Maß vorweisen können als Konkurrenten aus den Bereichen BWL oder Technik.

Gute Allgemeinbildung, soziale Kompetenz und die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren und sich schnell in neue Wissensgebiete einarbeiten zu können befähigen Magister-Absolventen etwa für Jobs an Schnittstellen, an denen kommunikative Fähigkeiten gefragt sind. Minks weiß von einem seiner eigenen Studenten, der sich mit einem Abschluss in Geschichte und Germanistik auf einmal im internationalen Wertpapiergeschäft der Deutschen Bank wiederfand. Auch Siemens steht im Ruf, gerne mit Geisteswissenschaftlern zu arbeiten, etwa deshalb, weil internationale Kunden es schätzen, Ansprechpartner zu haben, die kulturell auf Augenhöhe sind. Regelrechte Programme in dieser Hinsicht gebe es nicht, erklärt Siemens-Mann Michael Scheuer, fügt aber hinzu, dass zum Beispiel im Vertrieb nicht wenige Absolventen der entsprechenden Fachrichtungen arbeiten. Auch die firmeneigene Unternehmensberatung Siemens Management Consult oder die PR-Abteilung bedienten sich der Dienste von Geisteswissenschaftlern. "Das ist noch kein großer Markt. Aber er ist erkennbar und wächst", zitiert HIS-Mann Minks die Ergebnisse seiner Studie.

Allerdings müssen Geisteswissenschaftler ihren potentiellen Arbeitgebern oft erst einmal klarmachen, dass sie sie brauchen können. Und das geht über Jobs und Praktika besser als durch Blindbewerbungen nach dem Studium. Chancen für kreative Querdenker bietet auch die Werbung - unter anderem deshalb, weil es nach wie vor kaum organisierte Ausbildungswege im Textbereich gibt. Einem Quereinstieg ins Lehramt nach Studienende räumt die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung dagegen eher geringe Chancen ein: Laut Gutachten haben die Erfahrungen der Hochschulteams gezeigt, dass die vorhandenen Fächerkombinationen meist nicht zu denen gehören, die von den Schulen gesucht werden.

Rückenwind für Absolventen der Geisteswissenschaften erwarten die Experten allerdings durch die gerade laufende Studienstrukturreform: Sie soll die Studiengänge hinsichtlich der Ausbildungsziele schärfer konturieren. Dazu kommt, dass zusammen mit Bachelor- und Master-Abschlüssen ein so genanntes "Diploma Supplement" eingeführt wird - ein Stück Papier, in dem verzeichnet ist, womit sich der Absolvent während seines Studiums genau befasst hat und das bei der Stellensuche zusätzliche Argumente liefern kann.

Eine schlechte Nachricht kann das Hochschul-Informations-System den Magister-Studenten allerdings nicht ersparen: Rund 30 000 Euro verdienen Absolventen in festen Jobs ein Jahr nach ihrem Abschluss im Durchschnitt pro Jahr - 5000 weniger als die Gesamtheit der Akademiker. "Aber Geisteswissenschaftler wissen auch, dass sie nicht so viel Geld verdienen werden wie ein Arzt oder ein Richter und sie richten sich darauf ein", meint Minks. Ansonsten rät er dazu, sich nicht nur hinter den Büchern zu verschanzen, sondern sich klar zu machen, dass der Berufseinstieg nicht erst mit der Magisterarbeit beginnt. Aber: "Man sollte dabei auch nicht zu sehr pragmatisch werden. Wer früh schwimmen lernt, kommt nicht so schnell in Gefahr zu ertrinken."

 

Seitenanfang

Übersicht

 

     [ Home ]  [ Texte / Beiträge ]  [ Themen ]  [ Lebenslauf ]  [ Kontakt ]  [ Sitemap ]
             [ Print ]  [ Radio ]  [ Netz ]  [ Extras ]
     [ Menschen ] [ Musik ] [ Uni ] [ Motor ] [ Immobilien ] [ PC ] [ Netzwelt ] [ Vor Ort ]