Kein Volksfest für Bill Clinton

Stell Dir vor, der Präsident kommt nach Aachen und keiner darf ihm sehen.

Es ist ruhig in Aachen am Freitagvormittag - ziemlich ruhig sogar. Wären da nicht Bereitschaftspolizisten und Mannschaftswagen, die alle 100 Meter an den Hauptverkehrsstraßen stehen, nichts würde außerhalb des Zentrums darauf hindeuten, dass sich hier einer der mächtigsten Männer der Welt aufhält.

Die einzigen Dekorationen zur Verleihung des Karlspreises an den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton stammen von der Stadt selbst. Der größte Teil der Bürger scheint schon ins verlängerte Wochenende gefahren zu sein. "Der Verlag wird sich wundern, dass heute Abend so viele Zeitungen zurückgehen", sagt die Kioskverkäuferin in Sichtweite des grün-weißen Belagerungsringes, der sich um Dom und Rathaus zieht. Sie zeigt auf den dicken Stapel vor dem Tresen. "Wenn ich hier nicht arbeiten müsste, wäre ich auch weg."

Die Aussage steht für viele: Spätestens seitdem klar ist, dass normale Bürger kaum eine Chance haben, den US-Präsidenten zu Gesicht zu bekommen, ist die Stimmung in der Stadt gekippt. Außerdem haben Clinton und seine Berater im Vorfeld zu deutlich gemacht, was ihnen der Preis für Verdienste um eine Einigung Europas bedeutet: Nachdem die Stadt für den ursprünglichen Termin am 1. Mai schon selbst die Gewerkschaften dazu bewegt hatte, ihre Mai-Kundgebung auf den 30. April zu verlegen, kamen zunächst die Absage aus Washington und dann hektische Bemühungen, einen dem Präsidenten genehmen Termin zu finden. Nun, da alles geklappt hat, sorgen Sicherheitsbedenken dafür, dass da, wo sonst zum Karlspreis ein großes Volksfest stattfindet, nur Absperrgitter und Uniformen zu sehen sind. Auch auf dem knappen Viertel des Marktplatzes, das zugänglich ist, will nur schwer Stimmung aufkommen. Wer sich die Preisverleihung von hier aus wenigstens auf der Video-Leinwand ansehen will, muss einen Metalldetektor passieren und sich einer strengen Leibesvisitation unterziehen. Länger als fünf Minuten wartet trotzdem niemand auf Einlass, denn nur langsam tröpfeln die Menschen in das abgetrennte Eckchen - großes Gedränge gibt es den ganzen Vormittag nicht.

Drüben auf dem Katschhof, hinter dem Rathaus als Blickbarriere, sitzt derweil das geladene Publikum und lauscht, wie Bürgermeister Jürgen Linden die Leistungen des amerikanischen Volkes für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg lobt, und die Tatsache, dass Clinton China in die Welthandelsorganisation gebracht hat. Der Applaus kommt nur aus den Lautsprechern. Erst als der Präsident selbst ans Pult tritt, gibt es auch vor der Leinwand Jubel. Dann ist die Verleihung zu Ende, und wer jetzt noch Lust hat, kann anderthalb Stunden Schlange stehen, um vielleicht am auf 1000 Personen begrenzten "Bad in der Menge" teilzuhaben, das Clinton nach dem Essen nimmt. Der Verkehrsfunk meldet derweil: Alle Autobahnen rund um Aachen sind schon wieder gesperrt.

 

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